Sollten Sie hier eine kritisch-distanzierte oder auch nur ansatzweise objektive Geschichte erwarten, werden die nächsten paar Minuten eine Enttäuschung für Sie werden. Weil: Das spielt es nicht – und dazu stehe ich.

Ich bin nämlich ein Fan. Auf ganzer Linie. Ich versuche gar nicht so zu tun, als wäre das anders.

Deshalb war die Frage, ob ich am Sonntag beim Frauenlauf sein würde, auch keine: Ich mag den Event. Wegen der Stimmung. Wegen des Spirits. Wegen des Drumherums. Wegen seiner Geschichte. Aber vor allem wegen der Metapher: Weil Laufen nicht nur Laufen ist, sondern auch mit Ermächtigung zu tun hat. Mit Selbstermächtigung.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich gilt das für Männer ebenso wie für Frauen. Aber … nein, diese Diskussion auf einer feministischen oder genderfokussierten Ebene zu führen, überlasse ich gern anderen, Berufeneren.

Und bleibe beim Laufen: Sogar in meinen (gemischten) Jedermensch-Laufgruppen gibt es unterschiedliche Herangehensweisen ans Laufen von Männern und Frauen. Vor allem bei dem, was sich Anfängerinnen und Anfänger selbst zutrauen. Oder zugestehen. Meist beginnt es mit dem, was ihnen vor ihrem Weg zum Laufen alles mitgegeben wird. Über den Unterschied zwischen Männern und Frauen könnte man immer noch Bücher schreiben. Manche tun das ja auch. Ich halte mich kurz: Auch wenn sich manches ändert, besser wird, ist Laufen immer noch ein Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeiten.

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Genau deshalb ist der Frauenlauf weit mehr als eine gelungene Party, bei der knapp 20.000 Frauen die Prater-Hauptallee und den Stadionparkplatz Jahr für Jahr einen Sonntag lang ziemlich monochrom-uniform einfärben.

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Und auch wenn sogar in meinem engsten (weiblichen) Umfeld gerne gehöhnt wird, dass das Spiel mit Stylingtipps, Kosmetik-Goodies und Co Klischees und Stereotype bediene, "von denen sich selbstbewusste Frauen doch eigentlich lossagen können sollten", ist genau das der Punkt: Wer akzentfrei Flinta spricht, wer auch im LGBTQI-Sternderl-Sprech und im Pronomen-Kauderwelsch "fluent" heimisch ist, braucht Ilse Dippmanns Interpretation von gelebtem Feminismus tatsächlich nicht. Nicht um stark und selbstbewusst zu sein. Nur: Wo und wie holt man (also frau) die ab, die noch nicht einmal ansatzweise so weit sind?

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Das Eis, auf dem ich da tanze, mag argumentativ dünn sein. Dennoch behaupte ich, dass Ilse Dippmanns Beinarbeit in manchen Bereichen mehr Empowerment-Impact hat und hatte als etliche Kampagnen, die aus der etablierten Politik oder der vielgerühmten Zivilgesellschaft kommen – und an ihrer eigenen intellektualisierten Verkopftheit scheitern. Mit den besten und lautersten Absichten zwar – aber eben doch.

"Move your ass – and your head will follow" darf man, schon gar nicht als Mann, einer Frau natürlich nicht zurufen. Aber im Grund tut Ilse Dippmann seit 35 Jahren genau das. Sie formuliert es halt salonfähiger: "We Run To Move".

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Die Geschichte von Dippmann hier zu erzählen ist müßig. Erstens weil das in dieser Kolumne schon mehrfach geschah. Zweitens und vor allem aber, weil Fritz Neumann diese Geschichte soeben in einem "Kopf des Tages" zusammenfasste. Daher springe ich an dieser Stelle einfach ganz kurz zu jenem Moment zurück, in dem ich – als Mann – eine Idee davon bekam, was den Frauenlauf für viele Frauen ganz abgesehen von der gesellschaftspolitischen Metaebene und der Empowerment-Metapher-zum-Angreifen so besonders macht: Ein "Wir"-Gefühl auf der Strecke, das es bei "gemischten" Läufen schlicht und einfach nicht gibt.

Aus welchen Gründen auch immer.

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Ja eh: Dass ich als Mann von diesem Gefühl (oder zumindest einem kleinen Ansatz davon) erzählen kann, ist an sich ein Widerspruch zur Idee des Frauenlaufs. So super das 2017 auch war: Als mich Veronika Aigners Mutter 2018 fragte, ob ich ihre Tochter – ja genau, jene blinde Skirennläuferin, die heuer bei den Paralympics mit ihren Geschwistern Medaille um Medaille holte – wieder als Begleitläufer pacen wolle, lehnte ich ab.

2017 war ich in letzter Sekunde (und natürlich in Abstimmung mit der Veranstalterin) eingesprungen: Mit genügend Vorlauf war es für die Aigners aber natürlich kein Problem, eine Frau zu finden, die den Stunt 2018 mindestens so gut hinbekam wie ich im Jahr davor. Denn genau darum geht es beim Frauenlauf: uu zeigen, dass frau es selbst kann.

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No na war der Lauf 2017 für mich besonders gewesen. Auch weil da genau das Gegenteil von dem passierte, was mir seither (aber auch vorher) per "launigem" Männerkommentar zugezwinkert wurde: In dem Augenblick, in dem meine Rolle als Guide klar war – und das war sie auf den ersten Blick –, war es egal, wer oder was ich war. Punkt. Aus. Fertig.

Dass derlei für viele Männer schwer bis gar nicht verständlich ist, lässt sich in den Wochen und Monaten vor dem Frauenlauf fein beobachten: Bei den organisierten Trainingsläufen vor dem Event fallen die Gruppen auf der Hauptallee auf den ersten Blick nur laufenden Frauen auf.

Auf den zweiten Blick lohnend bis unterhaltsam kann aber auch ein Blick auf die vorbeitrabenden Männer sein. Ich rede da nicht von idiotisch-primitivem Cat-Calling, sondern vom oft unbewusstem Gasgeben oder Sich-in-Pose-Werfen mancher Herren. Blöd nur: Den Frauen fällt das nicht einmal auf. Die brauchen und beachten "uns" hier nicht. Gut so.

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Dennoch gibt es ein Frauenlauf-Bonmot über die "Unverzichtbarkeit" von Männern: "Um den Goodiebag heimzutragen, brauchst einen Mann."

Das ist natürlich übertrieben. Aber das Startersackerl, das Ilse Dippmann "ihren" Damen aushändigt, ist tatsächlich legendär prall. Und auch wenn wohl niemand wegen ein paar Duschgel- und Deoproben einen Startplatz kauft, ist das Startersackerl ebenso wie das inkludierte Teilnehmerinnen-Shirt Teil jener Geschichte, die nach und neben dem Lauf eine Rolle spielt: die von jener Wertschätzung, die Teilnehmern – in diesem Fall nur Teilnehmerinnen – entgegengebracht wird und in Erinnerung bleibt.

Foto: Tom Rottenberg

Weil Laufen – auf Volkslaufebene – halt mehr beinhaltet als das möglichst schnelle Absolvieren einer Strecke von x Kilometern.

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Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Was international bei großen Läufen Standard ist, ist das Volksfest für alle davor und danach. Der Frauenlauf zeigt, was da auch in Wien möglich ist. Und der Wings for Life Worldrun – aber auch der "Nightrun" – beweisen dann, dass es auch auf deutlich beengteren Flächen im Innenstadtbereich möglich wäre, nicht nur VIP- und Sponsoren-Areale großzügig und einladend einzurichten und zu gestalten, sondern auch das "Fußvolk" willkommen zu heißen. Und vor Ort zu behalten. Auch, um Agegrouper-Siegerehrungen oder andere Sonderwertungen gebührend zu feiern.

Das geht – der Veranstalter muss halt wollen.

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Dass derlei keine Sekunde lang im Widerspruch zu einer auch sportlich anspruchsvollen und relevanten Veranstaltung stehen muss, beweist der Frauenlauf ebenfalls: Die Kenianerin Gladys Chepkurui gewann den 5k-Lauf im Vorjahr mit neuem Streckenrekord(14:49), nur sechs Sekunden unter dem Weltrekord über den Fünfer.

Heuer, erklärte sie zwei Tage vor dem Lauf, hoffe sie, vielleicht sogar den Weltrekord zu knacken. Bei k2 lagen sie und die spätere Siegerin, Vicoty Chepngeno (ebenfalls aus Kenia) am Sonntag dann auch tatsächlich auf Weltrekordkurs – mit 15:03 verfehlte Chepngeno den dann aber doch. Beste Österreicherin wurde auch heuer wieder Julia Mayer (15:54 – insgesamt Fünfte).

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Als die 5k-Siegerinnen schon lange im Ziel waren, wurde auf der Hauptallee immer noch eifrig im Drei-Minuten-Takt gestartet. Startblock nach Startblock machte sich da lachend und fröhlich, aber eben doch mit großem sportlichem Ehrgeiz auf den Weg – und auch wenn es auf den ersten Metern oft eng war, war aufgrund der Blöcke und der kontrollierten Startblockzuteilung (wer in einem Block zu weit vorne startet, riskiert die Disqualifikation) meist nach wenigen hundert Metern flüssiges Laufen in der Gruppe möglich. Die letzten Starterinnen – Nordic Walkerinnen – gingen knapp vor elf Uhr ins Rennen.

Foto: Tom Rottenberg

Ja, das ist aufwendig und auch eine lange Zeit, um 18.000 Personen auf und durch die Hauptallee zu schicken. Dafür haben aber nicht nur die vordersten halbwegs freie Bahn.

Das geht — wieder: wenn der Veranstalter will.

Foto: Tom Rottenberg

Auf der Ziellinie ist all das aber egal. Da zählen nur Lachen, Jubel, Freude und Stolz. Und der Empfang: Das Spalier der letzten Meter – und die Veranstalterin, die am liebsten jede Teilnehmerin einzeln und persönlich auf der Ziellinie, im Ziel, willkommen heißen würde.

Natürlich auch die selbstbewusste Elite – aber vielmehr all jene Frauen und Mädchen, die noch Stunden später ankommen.

Foto: Tom Rottenberg

Dippmann wartet auch auf sie. Jubelt, klatscht, gibt "High Fives". Allen, die da strahlend auf die Ziellinie zurennen. Ganz besonders aber jenen, die zum ersten Mal dabei sind.

Foto: Tom Rottenberg

Die manchmal mit einem fast ungläubigen Blick ankommen. Ungläubig – und von sich selbst überrascht.

Weil sie gerade schaffen, was sie sich davor nicht trauten. Oft, weil man ihnen immer noch sagt, was man ihnen alles nicht zutraut.

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Für sie zählt dieser Moment doppelt und dreifach.

Weil auf der Ziellinie Dippmanns Botschaft Teil ihrer eigenen, persönlichen Geschichte wird. Zu etwas, das ihnen niemand mehr wegnehmen, klein- oder ausreden kann.

Zu einer Botschaft, die sich selbst zu glauben sie gerade gelernt haben: "Ich kann das!" – und Laufen ist nur eine Metapher.(Tom Rottenberg, 24.5.2022)

www.oesterreichischer-frauenlauf.at

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