Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagten am Dienstag, dass die Pandemie nun allen eine "Atempause" verschaffe.

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Die Pandemie sei nicht vorbei. Aber sie "verschafft uns eine Atempause", sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Und dem freieren Luftholen wird auch bildlich entsprochen: Ab 1. Juni fällt die FFP2-Masken-Pflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und in jenen Geschäften, wo sie bisher noch galt, also auch in Supermärkten, Trafiken und Apotheken (im Verkauf, bei medizinischen Dienstleistungen wie Corona-Tests bleibt die Maskenpflicht).

Für besonders vulnerable Settings, also in Spitälern und Pflegeheimen, gilt weiter die Maskenpflicht. Auch in Arztpraxen bleibt sie bestehen. Zugleich sprach Rauch aber auch eine Empfehlung aus, überall, wo viele Menschen sind und ein Abstandhalten nicht möglich ist, weiterhin eine Maske zu tragen. Er selbst handhabe das auch so. "Wir müssen raus aus dem Krisenmodus und lernen, mit der Pandemie zu leben", sagte der Minister.

Wien behält Maskenpflicht in Öffis bei

Es könnte weitere Ausnahmen geben: Zwar sagte Rauch, dass er über die Lockerungen mit Vertretern aller Bundesländer gesprochen habe, und er sprach von "erstmals bundesweit einheitlichen Regeln".

Ganz einheitlich werden die Regeln aber auch mit Juni nicht sein: In Wien wird die Maskenpflicht weiterhin auch in öffentlichen Verkehrsmitteln und Apotheken gelten. Das gab Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) Dienstagabend bei einer Pressekonferenz bekannt. "Wir waren während der gesamten Corona-Krise immer auf der sicheren Seite in Wien", sagte Ludwig.

Auch durch schwierige Phasen der Pandemie, etwa während der Delta-Welle, seien die Erkrankungsfälle und Todesfälle in Wien dadurch niedriger als in anderen Regionen Österreichs gewesen. Ludwig betonte erneut, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei. Der Zeitpunkt, wann eine durch neue Mutationen möglicherweise ausgelöste Welle zu spüren sein wird, sei unklar, daher müsse man weiter vorsichtig sein. Wien nehme die am Dienstag verkündeten Maßnahmen der Bundesregierung zur Kenntnis und ergänze sie durch die Maskenpflicht in den genannten Bereichen. Ludwig fordert auch eine zeitgerechte Impfkampagne vor Herbst und versichert, dass das Alles-Gurgelt-Testprogramm in Wien weiter aufrecht bleibt.

Kritik an dem erneuten Wiener Sonderweg kam am Dienstag vom Koalitionspartner. Die Entscheidung von Bürgermeister Ludwig sei "unverhältnismäßig", ließ Bettina Emmerling, Klubobfrau der Neos Wien, in einer Aussendung wissen. Einschränkungen der persönlichen Freiheit seien in einem demokratischen Rechtsstaat nur im absoluten Ausnahmefall anzuwenden. Emmerling kritisiert eine "Werteverschiebung der vergangenen zwei Jahre", die die Politik nun nicht dazu verleiten dürfe, über das notwendige Maß in das Leben der Menschen einzugreifen. "Wir Neos sind mit der Entscheidung des Bürgermeisters nicht einverstanden – sie liegt aber allein in seiner Kompetenz als Landeshauptmann!", lautet das Resümee Emmerlings.

Zurück zur von Gesundheitsminister Rauch verkündeten "Maskenpause": Charakteristikum einer Pause ist bekanntermaßen, dass sie irgendwann ein Ende hat: Vorerst ist die Länge auf drei Monate anberaumt. "Die Maske wird wieder kommen", fügte Rauch denn auch in seinen Ausführungen hinzu. In welcher Form, das hänge vom Herbst ab. Ursprünglich hätte die FFP2-Masken-Pflicht bis zumindest 8. Juli gelten sollen – wie der Gesundheitsminister erst kürzlich noch bekräftigt hatte. Warum er seine Meinung geändert hat? "Die epidemiologische Lage hat sich seither verändert, und ich bin nicht jemand, der krampfhaft an etwas festhalten muss", sagte Rauch nun dazu auf eine Journalistenfrage.

Impfpflicht bleibt ruhend

Der Herbst wird auch entscheidend dafür sein, wie es in Sachen Impfpflicht weitergeht. Über den Sommer bleibt sie jedenfalls weiterhin ausgesetzt. Eine solche Regelung war schon im März bis Ende Mai getroffen worden, nun wird dieser Zustand weiter verlängert. Damit folgt die Bundesregierung den Empfehlungen der Impfpflichtkommission. In dieser sitzen vier medizinische und juristische Expertinnen und Experten, die laufend die Lage evaluieren und Montagabend ihren Bericht zur aktuellen Situation vorgelegt haben.

Ministerin Edtstadler sagte, dass zwar die Impfung dafür geeignet sei, das Ziel zu erreichen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Aber die Situation sei – mit Blick auf die Spitalsbelegung (knapp 600 Spitalsbetten waren am Dienstag mit Corona-Patienten belegt) und die Zahl der Neuinfektionen (2.177) – eine ganz andere als bei Beschluss des Gesetzes im Winter. Und die Impfpflicht sei ein gravierender Grundrechtseingriff und deshalb nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig sei. Die Kommission sehe diese Verhältnismäßigkeit derzeit nicht gegeben. Dennoch sollten sich die Menschen impfen lassen, die Impfung biete den besten Schutz. "Und wir wissen nicht, was das Virus noch vorhat", sagte Edtstadler.

In dem Bericht der Impfpflichtkommission heißt es, dass "man sich auf mehrere Szenarien für den Herbst einstellen muss". Es könne auch ein Szenario eintreten, in dem die allgemeine Impfpflicht "erforderlich und angemessen erscheint". Das wäre der Fall, wenn "eine hinreichend ansteckende und krankmachende Variante von Sars-CoV-2 auf eine Bevölkerung trifft, deren Immunität über den Sommer stark abgenommen hat".

Dem will man vorbeugen: Man bereite derzeit logistisch alles darauf vor, ab Ende August oder Anfang September Auffrischungsimpfungen – sehr "basisnahe über praktische Ärzte und in den Betrieben" – anbieten zu können, wie Rauch ausführte. Die Experten gingen davon aus, dass dies im Herbst notwendig würde. Dann wäre man für den Winter gut aufgestellt. Derzeit wird eine vierte Impfung vom Nationalen Impfgremium generell nur für über 80-Jährige empfohlen.

Auch die PCR-Tests an Schulen entfallen ab Juni, verkündete am Dienstag das Bildungsministerium. Mehr dazu lesen Sie hier.

Handel reagiert positiv

Einige Reaktionen auf die Verkündigungen von Rauch und Edtstadler waren positiv: Der Handelsverband und die Gewerkschaft GPA, die sich für ein Ende der Maskenpflicht für die Handelsangestellten starkgemacht hatten, begrüßten das "Einlenken" des Gesundheitsministers. Die Neos beurteilen zwar die Lockerungen für Handelsangestellte positiv, mahnten aber ein, dass die Regierung den Sommer "nicht wieder verschlafen und bis Herbst nichts tun" dürfe. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher vermisst bereits einen klaren Plan für den Herbst. Die Sicherheit der Menschen werde wieder aufs Spiel gesetzt, die Regierung agiere nach dem Prinzip Hoffnung.

FPÖ-Chef Herbert Kickl wiederum warf der Regierung vor, "jeden Bezug zur Realität verloren" zu haben. Ein Leben ohne Masken- und Impfzwang müsse die Normalität sein. Was Wien betrifft, forderte Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp, dass das Bundesland dem Bund folgen und den "Maskenfetisch" beenden solle.

Kritik von Patientenanwältin Pilz

Kritik am Vorgehen der Bundesregierung kam auch von der Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz. Sie verstehe die Entscheidung und die Wortwahl nicht. "Atempause" würde suggerieren, das Atmen mit der Maske wäre unmöglich, kein Leben im "Katastrophenszenario" klinge, als wäre Solidarität mit Vulnerablen schrecklich, konstatierte sie auf Twitter. Sie warnte davor, dass sich niemand mehr an kommende Maßnahmen halten werde.

Von Expertenseite kamen zwar anerkennende Worte, dass die Regierung zugänglicher für das Thema Vorbereitung sei, an den Lockerungen wurde aber Kritik geübt. So sagte beispielsweise Virologin Dorothee von Laer, sie hätte ein Beibehalten der Maskenpflicht in Apotheken und im lebenswichtigen Handel befürwortet, um vulnerable Gruppe leichter schützen zu können. Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien zeigte sich verwundert, warum nicht mehr an der Erhöhung der Impfquote gearbeitet werde. (Gudrun Springer, 24.5.2022)