In den ersten Tagen der russischen Invasion sucht ein Reporter in Irpin, nordwestlich von Kiew, Schutz vor Beschuss.

Foto: AFP / Aris Messinis

Wien – Es ist, im Bild der Medien, ein Krieg in Schwarz und Weiß, der da in der Ukraine tobt, oder eher ein Krieg in Blau-Gelb, in den Farben der ukrainischen Flagge. Dienstagfrüh beurteilten Journalistinnen und Wissenschafterinnen aus der Ukraine und Russland, aus Spanien, Großbritannien, Dänemark, Frankreich in einer Videokonferenz*, wie Medien über diese ersten drei Monate der russischen Invasion berichteten.

Blau-gelber Filter

Der britische Journalist Tim Judah berichtete drei Monate aus der Ukraine für "Financial Times", "New York Book Review", "The Economist". Sein pragmatischer Befund über vor allem westliche Medien: Wer genug Geld zur Verfügung hat, kann sehr solid berichten. In den ersten Kriegstagen traf er alleine in seinem Hotel in Kiew 15 Mitarbeiterinnen der "New York Times".

"Es ist eine Schande, dass wir nicht berichten können, was auf der anderen Seite passiert, es gibt darüber keine Berichterstattung ausländischer Journalisten" – wenn man von Fotografen von Reuters und AP absehe, die "wirklich gute Arbeit" leisteten.

Die Medien zeichneten also notgedrungen ein Bild in Schwarzweiß von dem Krieg. Oder, wie der frühere Chefredakteur und Intendant des dänischen Rundfunks, Leif Lonsmann, sagte: "Wir berichten durch einen blau-gelben Filter."

"Wir kennen die andere Seite", widersprach die Kiewer Journalistin Nataliya Gumenyuk Judah: Dort wohnten Ukrainer, die von der Lage in den russisch besetzten Gebieten berichten. Für Gumenyuk ist der größte blinde Fleck in der Berichterstattung über die Ukraine als Kriegsschauplatz ein anderer – die Berichterstattung nämlich über die Ukraine als eine demokratische Gesellschaft.

Die andere Sicht steht auf der Seite des russischen Außenministeriums

Der russische Journalist Alexey Kovalev leitet das Investigativressort des russischen Exilmediums "Meduza" mit Sitz in Riga, er ist aus Russland geflohen. In seiner Heimat muss er mit Strafverfolgung rechnen, seit Russland Berichterstattung über die russischen Streitkräfte unter Strafe stellte, die nicht der Linie des Verteidigungsministeriums entspricht, ja selbst das Wort "Krieg" für die russische Invasion.

Er versuche Tag für Tag von Riga aus, die andere Seite zu Wort kommen zu lassen: "Wie oft haben wir das russische Verteidigungsministerium um Stellungnahme gebeten! Bei jedem einzelnen von hunderten Artikeln. Wir haben null Antworten bekommen."

Die russische Perspektive aber sei jederzeit zugänglich, fügt er an: "Wenn Sie lesen wollen, wie selbst simple Fakten bestritten werden, brauchen Sie nur die Webseite des russischen Außenministeriums besuchen. Das geht ganz einfach", auch wenn westliche Länder russische Medien wie etwa "RT" blockieren.

"Man muss es wissen wollen"

Die Blockade ausländischer Medien in Russland ist für Kovalev nicht das zentrale Problem, die russische Bevölkerung zu informieren. Pressefreiheitsorganisationen spiegelten kritische Websites, VPN-Verbindungen ermöglichten den Zugang mit wenigen Klicks. "Das Problem ist nicht der Zugang. Das Problem ist: Man muss wissen wollen, was tatsächlich passiert, man muss wissen wollen, dass das eigene Land mit vorgeschobenen Begründungen in einem anderen Land einmarschiert ist und dort Kriegsverbrechen begeht, dass Russland da keine Opferrolle zukommt."

Russische Staatsmedien versorgten "Millionen russischer Familien", auch über Social Media, auch im Ausland und mit Zugang zu allen anderen Medien und Quellen, mit den passenden Bausteinen für ihre Weltsicht. "Sie weigern sich, die Realität anzuerkennen", sagt Kovalov, auch über seine eigenen Verwandten. Seine Erfahrung: Nach stundenlangen Gesprächen über die Wirklichkeit des Krieges in der Ukraine "schauen sie am nächsten Morgen die Nachrichten im Staatsfernsehen und kehren zurück zu ihrer gewohnten Sicht." (fid, 24.5.2022)

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