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PRO: So frei wie möglich

von Conrad Seidl

Einschränkungen der persönlichen Freiheit müssen in einem liberalen Rechtsstaat wohlbegründet und im jeweils gelindest möglichen Maße eingesetzt werden. Mehr als zwei Jahre Pandemiepolitik haben uns das gezeigt: Wo gar kein anderes Mittel mehr erfolgversprechend war, konnten schärfste Maßnahmen verhängt werden – Ausgangssperren und Kontaktverbote, Lockdowns und Impfpflicht sind noch in Erinnerung. Und in Erinnerung ist auch, dass einige der von der türkis-grünen Regierungsmehrheit verhängten Maßnahmen vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden – weil sie eben nicht sachlich begründbar waren. So funktioniert der Rechtsstaat, so hat es auch der damalige Kanzler Sebastian Kurz etwas zu salopp, aber im Kern richtig argumentiert: In der Not muss man Notmaßnahmen setzen, sofern sie dringlich erscheinen. Erst die Zeit und das Höchstgericht zeigen, ob sie auch völlig angebracht waren.

In der jetzigen Situation kann man abschätzen: Es gibt überall ein Ansteckungsrisiko, und es gibt auch weiter Ansteckungen mit dem Coronavirus. Aber dass eine Maskenpflicht in Supermärkten und Öffis auf das Infektionsgeschehen einen wesentlichen Einfluss hätte, ist kaum belegbar.

Daher müssen die Menschen so frei wie möglich sein und in der jetzigen Lage von der Maskenpflicht befreit werden. Wer besonderen Schutz zu brauchen glaubt, darf weiter Maske tragen. Keine Maskenpflicht heißt ja nicht Maskenverbot. (Conrad Seidl, 24.5.2022)

KONTRA: Voreilige Demaskierung

von Oona Kroisleitner

Die Infektionszahlen sind niedrig. Das Wetter zeigt sich von seiner schönen Seite, die kalten Monate sind vorbei – und damit einhergehend wirkt auch die Pandemie wie eine Erinnerung aus früheren, dunklen Zeiten. An Lockdowns, Quarantäne und Ansteckungen will niemand mehr denken. Getestet wird nur noch in Einzelfällen. Warum also können wir nicht auch den nervigen Fetzen, der uns die vergangenen zwei Jahre das Gesicht verdeckt hat, mit dem Wintermantel in den Kasten räumen?

Die offensichtlichste Erinnerung daran, dass das alles noch nicht überstanden ist, dass – obwohl es unschön ist – wir uns in einer Übergangszeit befinden, ist die Maske. Denn darin sind sich Expertinnen einig: Im Herbst wird es wohl wieder unangenehmer. Fachleute prognostizieren den Anstieg der Corona-Fallzahlen. Ein Minimum an Schutzmaßnahmen sollte man also im Sommer beibehalten. Es macht einen Unterschied, ob der Anstieg von einem niedrigen oder hohen Plateau losgeht.

Die Maske ist nämlich auch das kleinste Übel, um diese Pandemie durchzustehen. Gerade an Plätzen, an denen man sich dicht gedrängt wiederfindet, ob man will oder nicht. Die Öffis sind ein solcher Ort. Niemand will sich im Sommer in Bus, Bim oder U-Bahn quetschen, doch manchmal muss man es. Wenn dann auch noch die Luft zum Schneiden ist, sieht man die Viren fast schon herumfliegen. Ein voreiliges Fallenlassen der Maske – und zwar überall – bringt uns später in Bedrängnis. (Oona Kroisleitner, 24.5.2022)