Die Regierung mag zwar große Töne spucken, Gebietsansprüche außerhalb der eigenen Grenzen stellen, auf unverhohlene Propaganda setzen, die Daumenschrauben der Unterdrückung immer kompromissloser anziehen. Passieren wird aber nichts. Denn am Ruder sind Pragmatiker, die erkennen, dass jede Konfrontation teurer, aufwendiger und verlustreicher wäre als der Status quo, von dem alle profitieren. So oder so ähnlich sehen viele westliche Regierungen China. So oder so ähnlich sahen sie jüngst auch noch Russland.

Bis Präsident Wladimir Putin am 24. Februar mit größter Brutalität klarmachte, dass sie falschlagen. Seither gehen westliche Regierungen in sich. Sie müssen sich fragen lassen, wieso sie nicht früher reagiert haben; wie sie Abhängigkeiten zulassen konnten; warum sie nicht mehr getan haben, um Unrecht im Inneren Russlands entgegenzutreten.

Routinemäßig kommen die Ankündigungen aus Peking, man werde sich die "abtrünnige Provinz" Taiwan bald zurückholen.
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Werden sie sich eines Tages, bald, ähnliche Fragen zu China stellen müssen? An Kompromisslosigkeit steht Peking Moskau nicht nach. Um zu wissen, was in den Lagern für Muslime in Xinjiang passiert, die China euphemistisch "Ausbildungszentren" nennt, hätte es der neuen Enthüllungen des Spiegel und anderer Medien nicht bedurft. Sie machen es aber schwerer, diese Verbrechen bequemlichkeitshalber zu ignorieren.

Partnerschaft mit Moskau

Auch Chinas Regierung erhöht die Schlagzahl. Routinemäßig kommen die Ankündigungen aus Peking, man werde sich die "abtrünnige Provinz" Taiwan bald zurückholen, die in Wahrheit längst eine eigenständig funktionierende, lebendige Demokratie ist. Immer häufiger werden die Überflüge chinesischer Jets in Taiwans Luftraum. Die Befürchtung, China könnte den Ukraine-Krieg nutzen, um anzugreifen, hat sich bisher nicht bestätigt. Doch was nicht ist, kann noch werden. Immerhin wird China nicht müde, die enge Partnerschaft mit Moskau zu betonen.

Die USA haben bisher auf die Politik der "strategischen Mehrdeutigkeit" gesetzt. Washington sagt nicht klar, ob es Taiwan verteidigen würde. Das soll eine Unabhängigkeitserklärung der Insel verhindern, China aber ausreichend von einem Angriff abschrecken. Bisher hat das funktioniert. Doch US-Präsident Joe Biden – der einen US-Einsatz in der Ukraine ausgeschlossen hat, um keinen Weltkrieg mit Russland zu provozieren – verschiebt die diffus gezogenen Grenzen. Dreimal hat er seit seinem Amtsantritt gesagt, dass die USA Taiwan verteidigen würden. Zuletzt am Montag in Tokio, während sich nahe den japanischen Seegrenzen chinesische und russische Bomber auf eine gemeinsame Atomübung vorbereiteten. Dreimal traten dann "anonyme US-Beamte" auf den Plan, um in Medien zu versichern, dass sich an der US-Politik nichts geändert habe.

Bidens Politik, sofern seine Äußerungen denn bewusst so gefallen sind, ist nicht ohne Risiko. China den Preis klarzumachen, den eine Invasion kosten würde, mag abschreckend wirken. Doch es verpflichtet die USA auch mehr als bisher, im Zweifel einzuschreiten – mit allen Folgen, die das für die Welt hätte.

Wie soll es der Westen abseits Taiwans mit China halten? Moralisch ist die Antwort klar. Tatsächlich aber wird es mit der Abgrenzung schwierig. Zumindest arbeiten sollten die Regierungen aber daran, die Abhängigkeit von Peking zu begrenzen. Bis das gelingt, sollten zumindest die Worte eindeutig sein, wenn es schon Taten nicht sein können – vor allem jene zu den Verbrechen in Xinjiang. (Manuel Escher, 24.5.2022)