Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wollte Carl Schurz ehren. Das hat er dann wieder sein lassen.

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An Robert Blum wird in Berlin seit November 2020 an allerhöchster Stelle erinnert. Zu dieser Zeit weihte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Saal in seinem Amtssitz ein, der zu Ehren des bekanntesten deutschen Revolutionärs nach ihm benannt wurde. Blum war Abgeordneter im ersten demokratisch gewählten gesamtdeutschen Parlament, der Frankfurter Nationalversammlung. 1848 wurde der Vorkämpfer für die Demokratie in Wien, in der Brigittenau, erschossen.

"Ich sterbe für die Freiheit, möge das Vaterland meiner eingedenk sein." Das sollen Blums letzte Worte gewesen sein, bevor ihn die Kugeln des Hinrichtungskommandos des kaiserlichen Militärs trafen.

Karriere in den USA

Steinmeier hat es sich zur Aufgabe gemacht, an die "Wegbereiter der deutschen Demokratie" zu erinnern, die vielen Deutschen nicht so geläufig sind. Er tut dies auch in einem von ihm herausgegebenen Buch ("Wegbereiter der deutschen Demokratie – 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918", Beck-Verlag). In diesem kommt neben Blum auch Carl Schurz vor, ein 1829 in Liblar, dem heutigen Erftstadt (Nordrhein-Westfalen), geborener deutscher Revolutionär, der nach der Revolution 1848/49 in die USA auswanderte und dort noch richtig Karriere machte: Er kämpfte für die Sklavenbefreiung und wurde von 1877 bis 1881 unter Präsident Rutherford B. Hayes Innenminister.

Auch Schurz wollte Steinmeier vor den Vorhang holen und ihn mit einer Büste im Schloss Bellevue ehren und ihm so mehr Anerkennung verschaffen. "Ich habe eine gute Nachricht", sagte Steinmeier 2020 bei der Vorstellung des Buches. Er plane die Aufstellung einer Schurz-Büste in Bellevue. Denn, so Steinmeier: "In die Hauptstadt unserer Republik gehören nicht nur Siegessäulen, Feldherren und Monarchen, sondern auch die Wegbereiter der deutschen Demokratie!"

Einweihung der Büste abgesagt

Doch die für vergangene Woche geplante Einweihung hat Steinmeier laut "Spiegel" mit folgender Begründung abgesagt: "Es sind Vorwürfe gegen Carl Schurz bekannt geworden, die sich insbesondere auf seine Amtszeit als Innenminister der Vereinigten Staaten von 1877 bis 1881 beziehen und die Verbringung von Kindern indianischer Ureinwohner in Internate betreffen."

Darüber berichtet Julius Wim, Postdoktorand an der Universität Leipzig, im Onlinemagazin "Geschichte der Gegenwart". "Jenseits der Legende vom guten Deutschen: Carl Schurz in den USA" lautet der Titel des Textes, der sich auf einen Bericht der Federal Boarding School Initiative in Washington bezieht. Diese hatte im Auftrag von US-Innenministerin Deb Haaland die jahrzehntelange Zwangsverschickung indigener Kinder und deren Umerziehung in staatlichen Internaten untersucht. Haaland ist die erste indigene Innenministerin der USA.

"Das wilde Aussehen"

Was der Bericht zutage förderte, lässt sich nur schwer mit ehrenvollem Gedenken an Schurz vereinbaren. "Am Aufbau dieser brutalen Assimilierungsanstalten ebenso wie am erzwungenen Ausverkauf der verbliebenen Reservate hatte Schurz als Innenminister von 1877 bis 1881 einen herausragenden, wenn nicht sogar einen entscheidenden Anteil." So habe Schurz über den Nutzen dieser Schulen gesagt: "Das wilde Aussehen der Indianerjungen und -mädchen weicht schnell einem gepflegten Erscheinungsbild. Eine neue Intelligenz, die ihre Gesichter erhellt, verwandelt ihren Ausdruck."

Wilm zitiert Schurz auch mit seinen Ansichten über "unzivilisierte Indianer": Es sei "nicht zu erwarten, dass sie aus ihrem eigenen Bewusstsein heraus verstehen, was das Beste für ihr Wohlergehen ist. Wir müssen in hohem Maße die notwendigen Überlegungen für sie anstellen und sie dann auf möglichst humane Weise dazu bringen, unsere Schlussfolgerungen zu akzeptieren."

Er gibt zudem die Worte Schurz' wieder, die zeigen, dass für Indigene in der Gesellschaft die niedrigen Positionen vorgesehen waren: "Wir können aus einem Indianer nie etwas anderes machen als einen (auf Reservaten eingesetzten, J.W.) Polizisten oder einen zweitklassigen Farmer. Durch das System, das wir so erfolgreich auf den Weg gebracht haben, können wir getrost darauf hoffen, die Indianer so lange zu absorbieren, bis sie in der großen weißen Familie völlig verschwunden sind."

Ein Rat an die Deutschen

Und Wilm hat an die Deutschen, vielleicht auch an Bundespräsident Steinmeier, einen Rat: "Im Sinne einer antirassistischen und nicht von nationalen Grenzen eingehegten Erinnerungskultur wäre es indes erforderlich – und angesichts der hierzulande reichlich vorhandenen Ehrungen geboten –, Schurz' widersprüchliche Entwicklung vom Antisklaverei-Aktivisten zum paternalistisch argumentierenden Rassisten breiter zur Kenntnis zu nehmen und zu problematisieren." (Birgit Baumann aus Berlin, 26.5.2022)