An der Wall Street haben Aktien und Anleihen seit der ersten US-Zinserhöhung schon insgesamt 25 Billionen Dollar an Wert verloren.
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Der Wirtschaft in der Eurozone und den USA stehen schwere Zeiten bevor. Zu der hohen Inflation kommt nämlich auch noch stark nachlassendes Wachstum, es droht also eine sogenannte Stagflation, sagt der Analyst und Fondsmanager Ronald Stöferle vom Investmenthaus Incrementum. Zwar versuche die US-Notenbank Fed entschlossen gegen die hohe Teuerung vorzugehen, allerdings werde ihr das nicht gelingen, ohne die Konjunktur und die Finanzmärkte aus den Angeln zu heben.

Stöferle verweist auf die gleichzeitigen Verluste von Aktien und Anleihen an der Wall Street seit der ersten Fed-Zinserhöhung im März – ein seltenes Ereignis, das er als "Stereowatsche" für Investoren bezeichnet. Insgesamt 25 Billionen US-Dollar an Vermögen habe sich dadurch in Luft aufgelöst, weshalb sich die Bevölkerung weniger wohlhabend fühle und weniger konsumiere. Goldexperte Stöferle erwartet daher nicht, dass die Fed ihren Fahrplan bei den Zinserhöhungen einhalten kann, vielmehr hält er ihn für "komplett illusorisch".

Zur Erklärung verweist Stöferle bei der Präsentation der 16. Auflage des "In Gold We Trust Reports" auf die hohe Gesamtverschuldung in den USA verglichen mit den 1970ern, als zwei Ölpreisschocks zu der letzten Phase einer Stagflation geführt hatten. Damals sei die Staatsverschuldung bei maximal 35 Prozent der Wirtschaftsleistung gelegen, derzeit seien es 123 Prozent. Gleichzeitig habe sich auch die Verschuldung der Unternehmen und Haushalte verdoppelt. Die Wirtschaft reagiere daher viel sensibler auf steigende Zinsen.

Mit Rücken zur Wand

"Die Stagflation wird eine andere sein als in den 1970er-Jahren", folgert Stöferle. Denn die Notenbanken stehen ihm zufolge mit dem Rücken zur Wand, können also entweder die Inflation mit restriktiver Geldpolitik bremsen oder die Wirtschaft am Laufen halten – beides zu erreichen hält der Experte nicht für möglich.

Eine Stagflation bedeutet für ihn ein Wachstum auf Jahressicht von weniger als einem Prozent bei einer Inflation über drei Prozent. Wobei wegen der Zinserhöhungen zunächst sogar eine Rezession drohe, seit 1915 hat es Stöferle zufolge in den USA nur drei von 20 Zinserhöhungszyklen gegeben, die nicht zu negativem Wirtschaftswachstum geführt haben. "Eine Rezession nicht nur in den USA, sondern vor allem in Europa ist ein realistisches Szenario."

Potpourri an Inflationskräften

Die Teuerung wird sich jedenfalls nicht von selbst abschwächen, erwartet der Goldexperte, denn: "Wir sehen ein Potpourri an Inflationskräften." Dazu zählt Stöferle das Auslaufen der Globalisierung, gestörte Lieferketten und die Demografie, die zu einem Fachkräftemangel geführt habe – was wiederum eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale begünstige. Dabei schaukeln sich die Zuwächse der Verbraucherpreise und der Löhne und Gehälter gegenseitig auf, wodurch sich Inflation dauerhaft festsetzt. In den nächsten Jahren werde die Teuerung in Schüben wiederkehren, wobei die derzeitige Inflationswelle noch heuer ihren Höhepunkte erreichen sollte.

Für das Edelmetall Gold wäre eine Stagflation wie in den 1970er-Jahren ein gedeihliches Umfeld.
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Incrementum-Experte Mark Valek erwartet wegen des Gegenwinds von Konjunktur und Börse, dass die US-Notenbank noch heuer den Zinserhöhungszyklus aussetzen wird. In diesem Fall sieht er bis Jahresende einen Goldpreis von 2200 US-Dollar, das sind um 18 Prozent mehr als derzeit. Bis Ende des Jahrzehnts soll der Kurs des Edelmetalls sogar auf 4800 Dollar steigen. Sonst sei das Umfeld für Anleger sehr herausfordernd. "In einer Stagflation sollten Gold, Rohstoffe und Minenaktien aber einen guten Ausgleich darstellen." (Alexander Hahn, 26.5.2022)