Eine Rauchsäule steigt über einer Fabrik im ostukrainischen Soledar am 90. Tag der russischen Invasion auf.

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Anfangs glaubten russische Militärs, die Invasion in der Ukraine sei nach drei Tagen erfolgreich erledigt, indes sind mehr als drei Monate um, und im Osten der Ukraine hat Moskau wieder einmal eine Großoffensive losgetreten. Man gibt sich weiter siegessicher: Trotz umfangreicher westlicher Hilfen für Kiew werde man die "Spezialoperation" erfolgreich zu Ende führen, sagte Verteidigungsminister Sergei Schoigu am Dienstag.

Ins selbe Horn stößt auch Nikolai Patruschew, Vizechef des nationalen Sicherheitsrats und ehemaliger Geheimdienstchef. Man werde alle Ziele erreichen. "Anders kann es gar nicht sein, weil die Wahrheit, auch die historische, auf unserer Seite ist", glaubt Patruschew. Einen Zeitstempel will er dem "Ziel" nicht aufdrücken. Man hechle "nicht irgendwelchen Fristen hinterher".

Waffenlieferungen zeigen Wirkung

Dass die Russen etwaige Fristen ohnehin schwer einhalten können, dafür sorgen weiterhin der ukrainische Verteidigungswille und zunehmend auch die westlichen Waffenlieferungen. Die seit einigen Wochen einsatzbereiten modernen Artilleriesysteme verbündeter Nationen würden an der Front den Unterschied machen, sagte Armeesprecher Dmytro Pletentschuk.

Die Umstellung von sowjetischem Gerät auf moderne Haubitzen aus den USA sei vergleichbar mit dem Umstieg "von einer Dampflok auf ein E-Auto". Grünes Licht gab es indes für 500 Millionen Euro zur Lieferung von Waffen und Schutzausrüstung seitens der EU.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sah sich wegen anhaltender Getreideexportblockaden am Davoser Weltwirtschaftsforum zudem an dunkle Zeiten erinnert, als "Hunger als Instrument der Macht" missbraucht werde.

Nawalny bleibt in Haft

Per Videoschaltung aus einer Strafkolonie heraus meldete sich am Dienstag auch Russlands berühmtester Oppositioneller Alexej Nawalny zu Wort. Es sei ein "dummer Krieg", den ein "verrückter" Wladimir Putin angefangen habe und der auf Lügen basiere. Nawalny – dessen Berufung gegen seine neunjährige Haftstrafe abgelehnt wurde – ließ sich durch Unterbrechungsversuche des Richters nicht beirren und wütete, dass sein Land von Dieben und Kriminellen geführt werde, die zu Feinden des russischen Volkes avanciert seien.

Was von Nawalny zu erwarten war, klingt aus dem Mund von Mitarbeitern des russischen Außenministeriums umso überraschender. Die zu Wochenbeginn bekannt gewordene Kündigung des in Genf stationierten Boris Bondarew schlug deshalb hohe Wellen. Der auf Rüstungskontrolle spezialisierte Diplomat hatte angegeben, sich noch nie so sehr für sein Land geschämt zu haben wie nach der russischen Invasion. Er sprach von einem Verbrechen gegen das ukrainische und das russische Volk und attackierte auch seinen bisherigen Chef, Außenminister Sergej Lawrow, hart. Dessen Atomdrohungen würden die russische Außenpolitik "zersetzen".

Im Kreml kommentierte man die Dienstquittierung kürzestmöglich. "Man kann hier wahrscheinlich nur sagen, dass Herr Bondarew nicht mehr zu uns gehört – vielmehr, dass er gegen uns ist", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Bondarews Entscheidung, vorerst in Genf zu bleiben, ist nach dem warnenden Beispiel Nawalnys sicher keine schlechte Idee. (Fabian Sommavilla, 25.5.2022)