Noch am Dienstag hieß es, dass "Mungo Man" und "Mungo Woman" einen Aufschub erhalten würden: Die Wiederbestattung des ältesten Australiers mit den Überresten von 107 weiteren frühmenschlichen Individuen aus dem späten Pleistozän sei nach Beschwerden von Vertretern der Aborigines im letzten Moment gestoppt worden – zu spät, wie sich herausstellte.

Die scheidende Umweltministerin Sussan Ley hatte die Pläne vorangetrieben, die jahrtausendealten Knochen an verschiedenen unmarkierten Orten in der Willandra-Seenregion in New South Wales zu vergraben. Noch diese Woche sollten sie auf diese Weise für immer verschwinden. Trotz der Anfechtung der traditioneller Besitzer des Landes in der Willandra Lakes Region wurde die Beisetzung in einer Geheimaktion noch am Dienstag umgesetzt. Vertreter der Aborigines sind nun entsetzt und empört über die Vorgehensweise, sie fordern eine Untersuchung und rechtliche Konsequenzen.

"Mungo Man" wurde 1974 entdeckt. Es handelt sich um die älteste bekannte rituelle Bestattung.
Foto: Jim Bowler

Uneinigkeit

Unter den Aborigines herrscht keine Einigkeit, wie mit den Knochen zu verfahren ist. Während Vertreter des örtlichen Aborigines-Rates die Pläne der Regierung begrüßt hatten, erklärten viele der traditionellen Eigner der Region, dass der Rat die Gemeinschaft nicht repräsentiere.

Die aus den Stämmen der Paakantyi, Muthi Muthi und Ngiyampaa zusammengesetzte Three Traditional Tribal Groups (3TTG) arbeitete jahrelang darauf hin, den frühen Australiern eine würdige letzte Ruhestätte zu ermöglichen, anstelle sie an geheimen Orten zu verscharren. "Wir würden das heute nicht mit unseren Leuten tun, warum sollten wir es also mit unseren historisch bedeutenden Vorfahren machen?", sagt Jason Kelly, ein Vertreter der Muthi Muthi. In einem Brief an das Ministerium forderten rund fünfzig Stammesführer das Aus für die Beisetzungspläne.

Ley hatte zwar ursprünglich versprochen, die Wünsche der Aborigines zu berücksichtigen, dennoch wurde das Projekt zuletzt noch beschleunigt. Zunächst für Donnerstag avisiert, war am Ende von einer Beisetzung am Mittwoch die Rede – der verfügte Aufschub kam offenbar zu spät.

Regierung abgewählt

Dass die konservative Regierung bei der Parlamentswahl am vergangenen Samstag die Mehrheit verlor, spielte bei der überfallsartigen Vorgehensweise eine wesentliche Rolle – die staatliche Verwaltung Willandras, die das Projekt vorangetrieben hatte, war sich im Klaren darüber, dass die neue Regierung die Umbettung wohl stoppen würde. Außerdem steht eine Neuwahl des Aborigines-Rates bevor, bei der die Gegner der Bestattungspläne wohl die Oberhand behalten werden.

Das zuständige Ministerium für Umwelt erklärte am Dienstag, die Umbettung der Knochen sei verschoben worden, bis der künftige Ressortchef die Möglichkeit hatte, den Antrag zu prüfen. Das Ministerium habe aufgrund der Kommunikation mit den Regierungsbehörden von New South Wales erwartet, dass die Wiederbestattung nicht stattfinden würde, heißt es in einer Erklärung. Doch noch am 24. Mai sei das Ministerium von der Regierung des Bundesstaates informiert worden, dass die Überreste an diesem Tag bereits vergraben worden waren.

"Frevel gegen unsere Kultur"

Kelly erklärte, er sei wegen der Vorgehensweise am Boden zerstört. "Das ist ein Frevel gegen unsere Kultur, unser Erbe, unsere Geschichte und unser Volk", sagte er: "Wir wollen wissen, wie das passiert ist und wer für diese Schändung verantwortlich ist." Das Vorgehen sei auf allen Ebenen respektlos und widerspreche den Wünschen hunderter noch lebender oder bereits verstorbener Stammesältester, die sich für eine kulturell angemessene Wiederbestattung ihrer Vorfahren eingesetzt hätten.

Kelly forderte vom Umweltminister von New South Wales, James Griffin, eine umfassende Untersuchung der Vorgänge. "Er muss herausfinden, was die Rechtfertigung für diese geheimen Umbestattungen an unbekannten Orten war und warum dies trotz unseres dringenden Gerichtsantrags geschehen ist", sagte Kelly." Wir fordern den Minister auf, uns mitzuteilen, wo die Überreste jetzt begraben sind, damit wir Mungo Man und Mungo Lady eine kulturell angemessene öffentliche Gedenkstätte bieten können".

Konsequenzen gefordert

Michael Young, ein Vertreter der Paakantyi, sagte, dass mit der Vorgangsweise die Aborigines im ganzen Land nicht respektiert wurden. "Unser Erbe wird immer noch in alarmierendem Tempo von Organisationen und jetzt auch von Regierungsbeamten zerstört", sagte er. Die Verantwortlichen müssten für die Zerstörung zur Rechenschaft gezogen werden: "Ich denke, diese Leute haben eine kriminelle Tat begangen, eine kriminelle Tat gegen indigene Völker", sagte er. "Man entscheidet nicht einfach, 42.000 Jahre alte menschliche Überreste zu zerstören, diese Menschen müssen strafrechtlich verfolgt werden." Ein Sprecher der für die Kulturerbeverwaltung zuständigen Behörde von New South Wales erklärte, dass eine Untersuchung im Gange sei, unter welchen Umständen die Überreste von ihrem Aufbewahrungsort entfernt worden waren.

Bereits 2017 beigesetzt

2017 waren "Mungo Man" und seine Kollegen in die Region zurückgekehrt. Begleitet von Zeremonien, wurden die Knochen damals an einem gesicherten Ort in einer Truhe aus Eukalyptusholz beigesetzt. Die 3TTG wünschen sich ein Bildungszentrum, in dem die Geschichte der Uraustralier erzählt wird, sie hofften nun auf die neue Regierung. Die siegreiche Labor-Partei hatte versprochen, sich für ein Referendum über eine stärkere Anerkennung der Aborigines und ihrer Geschichte in der Verfassung starkzumachen. "Mungo Man" und "Mungo Woman" sind dabei von zentraler Bedeutung für die Erzählung der australischen Frühgeschichte. Ein derartiges Kulturzentrum würde auch Arbeitsplätze für die Aborigines schaffen.

2017 kehrte "Mungo Man" zurück an den Lake Mungo. Er wurde in einer Kiste aus Eukalyptusholz beigesetzt.
Foto: AP
Gemeinsam mit ihm wurden die Überreste von mehr als hundert Individuen bestattet.
Foto: AP

Älteste Bestattung

"Mungo Man" wurde 1974 vom Geologen Jim Bowler am Ufer des ausgetrockneten Mungo-Sees entdeckt. Es handelt sich um eine über 40.000 Jahre alte Bestattung, bei der der Leichnam mit Ocker bedeckt wurde – das älteste bekannte rituelle Begräbnis. Dies belegt, dass die Einwohner Australiens schon damals über komplexe Traditionen verfügten. Ocker kommt nicht in der Gegend vor, der mineralische Farbstoff wurde also über größere Distanzen importiert, was wiederum auf frühe Handelsbeziehungen schließen lässt. Bei "Mungo Man" handelt es sich um einen rund fünfzigjährigen Mann, der zu Lebzeiten eine beeindruckende Erscheinung gewesen sein muss: Der Oberschenkelknochen lässt darauf schließen, dass er rund 1,96 Meter groß gewesen sein muss.

Fünf Jahre zuvor hatte Bowler nur fünfhundert Meter westlich von "Mungo Mans" Grab "Mungo Woman" gefunden. Diese ist jedoch nur gut halb so alt, es handelt sich um eine der ältesten Brandbestattungen weltweit. Der Leichnam der rund 19 Jahre alten Frau wurde verbrannt, die Knochen zertrümmert und erneut verbrannt.

Ebenfalls von den Willandra-Seen stammen Fußspuren zahlreicher Menschen aus der Zeit von "Mungo Man" und "Mungo Woman". Diese zeugen vom Leben an den Seen, die gegen Ende der letzten Eiszeit auszutrocknen begannen. Die Funde vom Mungo-See stehen in ihrer Bedeutung in einer Reihe mit den Hominidenfunden im ostafrikanischen Rift Valley. Nicht zuletzt deswegen erhielt die Willandra-Lakes-Region den Status einer Welterbestätte verliehen. (Michael Vosatka, 24.5.2022)

Vor Jahrtausenden hinterließen Uraustralier ihre Fußspuren an heute längst ausgetrockneten Seen.
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Eine Formation aus Dünen bildet einen Halbkreis um Lake Mungo. Die Formation wird auch Chinesische Mauer genannt. Hier wurden die meisten archäologischen Funde gemacht.
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