"Es ist diese paranoide Weltanschauung, dass eine Gefahr von einem Volk ausgehe, nur weil sie nun einmal keine Han-Chinesen sind", sagt Uiguren-Experte und Anthropologe Adrian Zenz in der "ZiB 2".

Foto: Screenshot / Orf TvThek

Es seien ganz spezielle Daten, weil sie direkt aus Computern der chinesischen Polizei und der Internierungsbehörden stammen, sagte der deutsche Anthropologe Adrian Zenz, der direkt in die Veröffentlichung des als "Xinjiang Police Files" bekannt gewordenen Datenleaks involviert war, am Dienstag in der "ZiB 2" des ORF. Das Leak gibt bisher nie dagewesene Einblicke in chinesische Umerziehungslager in der nordwestlichen Provinz Xinjinag, wo die Regierung die muslimische Volksgruppe der Uiguren gewaltvoll zur Assimilierung zwingt.

"Nun haben wir endlich Fotos", sagte Zenz im ORF-Interview. Das Bildmaterial belege, dass die Menschen in den Lagern in Xinjiang wie Schwerverbrecher behandelt würden, obwohl die chinesische Regierung stets von "freiwilligen Fortbildungseinrichtungen" spreche. Neben tausenden Häftlingsfotos enthält das Leak auch geheime Reden chinesischer Funktionäre, in denen vom Erschießen flüchtender Häftlinge die Rede ist, zudem Schulungsunterlagen der Sicherheitsbehörden und schier endlose Internierungslisten.

Zenz hat die Daten eigenen Angaben zufolge von einem anonymen Hacker bekommen, der sich in die Computer der Sicherheitsbehörden eingeschleust hat. 14 Medienhäuser aus aller Welt, darunter der STANDARD-Partner DER SPIEGEL, haben den Datensatz schließlich ausgewertet.

Auch Anthropologen haben Angst

"Die Luft, die man atmet, ist das Einzige, was man als frei bezeichnen kann", sagte Zenz in Bezug auf die Provinz Xinjiang. Die Bevölkerung werde unterdrückt, Menschen teilweise verhaftet und in Lager verschleppt, wenn sie sich Bärte wachsen lassen, den Islam praktizieren, westliche Apps auf ihren Handys haben, und sogar dann, wenn sie ihre Handys wenig benutzen und deshalb verdächtigt werden, den Überwachungsmaßnahmen entkommen zu wollen. Mittels Datenanalyse würden die Behörden auch versuchen vorherzusagen, wer sich in Zukunft nicht an die strengen Regeln halten werde. Die Menschen würden zudem teilweise in Sippenhaft genommen. Die jüngste Gefangene, die auf den geheimen Internierungslisten gefunden wurde, ist demnach erst 15 Jahre alt.

"Es ist diese paranoide Weltanschauung, dass eine Gefahr von einem Volk ausgehe, nur weil sie nun einmal keine Han-Chinesen sind", erklärt Zenz den Hintergrund des menschenverachtenden Vorgehens der chinesischen Regierung. Auch Anthropologen hätten Angst vor den Behörden. Er selbst steht auf Sanktionslisten der chinesischen Regierung. Zenz spricht von einem "Genoizid, auch wenn es keine Massentötungen gibt". (jop, 24.5.2022)