Ein Bild aus anderen Zeiten: Bundespräsident Alexander Van der Bellen (rechts) und der damalige Kanzler Sebastian Kurz (links)

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"Der Wunsch, öffentlich Aufträge zu manipulieren, die Pressefreiheit zu untergraben und die Parteienfinanzierung auf illegale Beine zu stellen": Auf den ersten Blick könnte man meinen, Bundespräsident Alexander Van der Bellen beschrieb in "Presse" und "Kleiner Zeitung" die Verdachtsmomente in der ÖVP-Causa Umfragen/Beinschab. Denn da waren wohl Scheinrechnungen gelegt – also öffentliche Aufträge manipuliert – worden; da steht die Vermutung im Raum, die Berichterstattung in einer der größten Boulevardzeitungen sei erkauft worden, und all das sei mit Steuergeld aus dem Finanzministerium erfolgt.

Aber der Bundespräsident meint mitnichten die Ermittlungen, die den damaligen Kanzler Sebastian Kurz, seine Berater und sogar die gesamte Bundes-ÖVP als Verband erfasst hatten. Vielmehr will Van der Bellen mit diesen Worten das Ibiza-Video beschreiben und herausarbeiten, wie sich die Verdachtslagen zwischen FPÖ und ÖVP unterscheiden. Im Endeffekt kommt in den zahlreichen Interviews zu seinem Wiederantritt als Präsidentschaftskandidat eines rüber: FPÖ pfui, ÖVP "bedrückend". Was auf Ibiza gesagt wurde, sei "unmissverständlich" gewesen, was in den Chats stehe, "mutmaßlich". Gepaart wird all das von Van der Bellen mit mahnenden Worten, vieles an Korruptionsvorwürfen in den vergangenen Jahren sei "übertrieben" gewesen. Dazu ist zu sagen: Selbst wenn es zu Einstellungen kommen sollte, war die Aufklärung der Verdachtsmomente jedenfalls sinnvoll und wichtig.

Es geht um die Wiederwahl

Zu vermuten ist, dass Van der Bellen mit solchen Aussagen seine Wähler im konservativen Segment nicht vergraulen will. Dass der Bundespräsident Unterstützer der FPÖ auf seine Seite ziehen kann, ist so gut wie ausgeschlossen; für eine klare Mehrheit gegen die Kandidatin der Freiheitlichen braucht er also einen Teil der ÖVP-Wählerschaft.

Abseits von wahltaktischen Überlegungen sind Van der Bellens Aussagen merkwürdig. Seine Grünen waren es, die aufgrund der Verdachtsmomente Sebastian Kurz zum Rücktritt brachten. Wegen eines "bedrückenden Sittenbilds" ist das wohl nicht erfolgt. Während Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus auf Ibiza verdammenswerte, aber nicht strafbare Fantasien über Korruption äußerten, steht im Raum, dass ÖVP-Regierungsmitglieder ihre tatsächliche Macht ausgenutzt haben, um ihrer Partei viele Vorteile zu verschaffen. Korrupt ist nicht nur, wessen Wählerschaft man nicht braucht. Diesen Eindruck zu erwecken steht dem Präsidenten nicht gut. (Fabian Schmid, 25.5.2022)