Im Gastblog porträtiert die Germanistin Karin Kranich eine ikonenhafte Kochbuchautorin.

"Schau doch bei der Prato nach!" Das war bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ein geflügeltes Wort in österreichischen Haushalten. Wer etwas auf sich hielt, besaß "Die süddeutsche Küche" der Katharina Prato. Dieses Kochbuch war und ist ein echter Klassiker: Zwischen 1858 und 2007 entstanden 82 Auflagen. Das Buch verkaufte sich rund eine Million mal (laut einer Schätzung des Verlags Styria aus dem Jahr 2006).

Ein genialer Bestseller – von Anfang an? Nicht wirklich – eher eine Entwicklungsgeschichte: Katharina Polt wurde 1818 in Graz in eine begüterte Familie geboren und erfuhr wohl die für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts klassische Ausbildung einer höheren Bürgerstochter: Sie lernte Sprachen, erhielt eine Ausbildung in Musik und wurde dazu erzogen, einen bürgerlichen Haushalt zu führen. 1857 heiratete sie – für die damalige Zeit und ihre gesellschaftliche Stellung ungewöhnlich spät – Eduard Pratobevera, einen Offizier und Historiker, der seine Militärkarriere als Feldarzt aufgrund einer schweren Magenerkrankung frühzeitig beenden musst. Ab 1851 war er provisorischer Vorstand der Münz- und Antikenkabinetts am Joanneum in Graz. Er starb bereits am 18.12.1857 nach nicht einmal einjähriger Ehe mit Katharina. 1860 heiratete sie in zweiter Ehe Johann (von) Scheiger, Postdirektor und Konservator in Steiermark und Kärnten, in den Adelsstand erhoben 1872. Ihn begleitete sie in den folgenden Jahren auf viele Dienstreisen und hatte dabei wohl die Gelegenheit, die regionale Gaststättenküche des süddeutschen Raumes im Detail kennenzulernen und entsprechende Rezepte zu sammeln.

Katharina Polt 1846, im Alter von 28 Jahren; Maler unbekannt.
Sammlung der Stadt Graz, Foto: Edin Prnjavorac

Sie muss aber bereits Vorarbeiten für ein Kochbuch vor beziehungsweise in der Zeit ihrer Ehe mit Pratobevera geleistet haben. Denn bereits 1858 brachte sie unter dem Pseudonym Katharina Prato – wohl eine Referenz an ihren erst kürzlich verstorbenen Ehemann, den seine Freunde "Prato" nannten – Die süddeutsche Küche auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte, mit Berücksichtigung des jetzt so üblichen Thee’s für Anfängerinnen sowie für praktische Köchinnen zusammengestellt heraus.

Diese erste Auflage umfasste 348 Seiten (mit ungefähr 1500 Rezepten), mit jeder Auflage schwoll das Kochbuch aber immer mehr an: bis in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts, noch zu Pratos Lebzeiten, auf 700 Seiten, in der 76./77. Auflage auf 1048 Seiten, in der 80. Auflage 1957 unter dem Titel "Die große Prato" bereits auf 1128 Seiten.

Daran ist ein Grundzug abzulesen, den Katharina Prato von Beginn an ihrem Werk mit auf den Weg gab: Es sollte up to date sein, es sollte Neues aufnehmen und immer dem Zeitgeist entsprechen. Und noch eine zweite Intention der Autorin lässt sich bereits aus der Titelgestaltung der ersten Auflage ablesen: Katharina Pratos Zielpublikum waren – neben den "praktischen Köchinnen" die "Anfängerinnen", also die in der Kochkunst noch nicht arrivierten, jungen Frauen. Schon im Vorwort der ersten  Auflage beschreibt Prato ihre Zielsetzung so: "Mein Hauptzweck war, diese Arbeit als 'Leitfaden für Anfängerinnen' vorzüglich für angehende Hausfrauen brauchbar zu machen."

Augenmerk auf die Bedürfnisse des Mittelstandes

Mit dieser Herangehensweise trifft Katharina Prato den Puls der Zeit. Die Mitte des 19. Jahrhunderts ist geprägt von Teuerungen, die auch die Möglichkeiten von durchaus begüterten bürgerlichen Haushalten einschränken. Zunehmend muss man in diesen Kreisen auf Hauspersonal, darunter auch Köchinnen, verzichten. Die Hausfrau selbst ist angehalten, nicht nur, wie bisher, den Haushalt zu leiten und zu führen, sondern sie ist nun auch für die Speisenzubereitung zuständig. Es ist die Zeit der Entstehung des bürgerlichen Kleinhaushaltes. Dieses Szenario kennt Katharina Prato offenbar sehr gut, denn im oben genannten Vorwort sagt sie weiter: "Aus diesem Grunde habe ich die Speisenvorschriften nur für eine kleine Personenzahl eingerichtet und mein Augenmerk hauptsächlich den Bedürfnissen des Mittelstandes zugewendet."

1873 bringt Katharina Prato ein weiteres Werk heraus, das ganz dem ihr so wichtigen Ausbildungsaspekt geschuldet ist: Die Haushaltungskunde. Ein Leitfaden für Frauen und Mädchen aller Stände. Mit Anwendung des metrischen Maßes und Gewichtes (Bd. 1: Anleitung zur Führung des Haushalts, Bd. 2: Anleitung zu den häuslichen Geschäften, Bd. 3: Anleitung zur Führung der Wirtschaft auf dem Lande). Das ist die erste Haushaltskunde der Habsburger-Monarchie.

Darin spiegelt sich ein durchaus traditionelles, bürgerliches (Haus-)Frauenbild, aber gleichzeitig auch ein Sensorium für offenbare Defizite in der Frauenbildung. Katharina Prato, nicht zuletzt durch den kommerziellen Erfolg ihre Kochbuches dazu finanziell in der Lage, setzt ihr Engagement für Frauen fort, indem sie in Graz den Verein "Volksküche" gründet, sich im Verein "Frauenheim" engagiert und schließlich Initiativen für die Gründung einer "Mädchenarbeitsschule" und mehrerer Kindergärten setzt.

Interesse für das Moderne

Katharina Prato ist also eine engagierte, offenkundig eigenständige Frau, die sich zeitlebens für das Moderne interessiert. Nicht umsonst nimmt sie bereits in der ersten Auflage ihres Kochbuches die "Thee-Mode" auf. Sie beschreibt aber auch den Einsatz der Suppenwürze (dazu schreibt sie 1884 eine Abhandlung über "Werth und Darstellung des Fleischextrakts"), der Maizena-Maisstärke sowie des Würfelzuckers – allesamt Neuerungen, die es erst seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts gab. Hierher gehöret auch, dass sie den Einsatz von topaktuellen küchentechnischen Innovationen, wie den Sparherd oder den Dampfdruckkochtopf, in ihre Kochbuch aufnimmt.

Der durchschlagende und so langanhaltende Erfolg der Süddeutschen Küche der Katharina Prato beruht auf mehreren Komponenten: Die Autorin verfügt – offenbar als Naturtalent – sowohl über sprachliche als auch über didaktische Begabung. Sie schreibt, diesmal ganz gegen den Zeitgeist, schnörkellos, direkt und unprätentiös. Darüber hinaus strukturiert sie ihre Texte didaktisch genau so, wie es Anfängerinnen ohne Kochroutine brauchen.

Zuerst werden die Grundlagen dargestellt: gleich zu Anfang die "Vorkenntnisse" über Maß und Gewicht – wir befinden uns ja in der Zeit des Übergangs vom historischen nichtmetrischen zum metrischen System, das in der k. u. k. Monarchie 1876 eingeführt wurde –, dann ein umfangreicher Abschnitt mit Erklärungen "der gewöhnlichen Küchenausdrücke". Erst daran schließt sich der nach Großgruppen, wie wir sie auch heute kennen, strukturierte Rezeptteil (von Suppen bis Desserts) an. Jedes Rezept bietet eine bis ins Detail gehende Schritt für Schritt-Anleitung, die die Umsetzung auch etwas komplexerer Speisen realisierbar erscheinen lässt, zumal Katharina Prato stets mit Tipps und Küchenkniffen zur Stelle ist.

Ausschitt aus dem Digitalisat der ersten Auflage: Braune klare Suppe.
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Als Beispiel kann hier das Rezept für eine simple "Braune Suppe" dienen:

In eine weite Rein gibt man zuerst einige Stücke Kernfett oder Speck, dann gelbe Rüben, Zwiebel, Sellerie, Petersiliewurzel, etwas Kohl oder Kohlrüben, alles zu Scheiben geschnitten; darauf Leber, dünne Schnittchen von magerem Rind-und Kalbfleische und Knochen. Dies läßt man zugedeckt dünsten, bis die Zwiebel braun ist. Nun gibt man etwas kaltes Wasser dazu, damit es die Farbe auszieht, dann ungesalzene Fleischbrühe und läßt es langsam sieden.

Die Suppe wird durch ein feines Sieb geschüttet, das Fett abgeschöpft, und wenn sie ausgekühlt ist, langsam in ein anderes Geschirr gegossen, damit das Trübe zurückbleibt. Man kann sie denselben oder den folgenden Tag verwenden, und dann erst etwas salzen. (Auflage 1858, S. 49f.)

Illustrationen für ein didaktisches Kochbuch

Zu Katharina Pratos Grundintention, ein didaktisches Kochbuch für Anfängerinnen zu schreiben, passen auch die Illustrationen, mit denen sie ihr Werk in den späteren Auflagen anreichert. Zuerst waren es Zeichnungen – zum Beispiel mit Detaildarstellungen der Position aller Fleischstücke am Kalb – und ab der 25. Auflage 1897 Farbtafeln – zum Beispiel von Fleischteilen, Süß- und Meerwasserfischen, Gemüsen, Pilzen etc.

Die besten Fleischstücke des Rindes, 41. Aufl. 1907.
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Solche Illustrationen in Kochbüchern sind nicht neu. Wir kennen sie, seit Kochrezepttexte Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts gedruckt auf den Markt kamen. Dort sind sie allerdings vordergründig zum Kauf anregende Zugaben und bleiben das oftmals bis ins 21. Jahrhundert. Bei der Prato aber geht es auch in den Illustrationen um Wissensvermittlung – hier haben wir es mit Schautafeln und nicht nur mit schmückendem Beiwerk zu tun.

Dies hebt "die Prato" auch gegen die unzähligen Kochbücher ab, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu erscheinen, und sichert dem Pratoschen Kochbuch wohl auch sein verlegerisches Fortbestehen als "Klassiker" bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Dazu trugen aber auch zwei Frauen bei, die die jeweiligen Neuauflagen nach Katharina Pratos Tod weiterführten, pflegten und vermehrten: Viktorine Leitmaier, Pratos Enkelin, die 1903 die "34., abermals verbesserte und vermehrte" Auflage betreute, und Dora Larin-Zelinka, die 1957 Katharina Pratos Kochbuch in 80. Auflage unter dem Titel "Die große Prato. Kochbuch der österreichischen und süddeutschen Küche, mit böhmischen, englischen, französischen, italienischen, serbischen und ungarischen Nationalspeisen. Nach dem heutigen Stand der Kochkunst vollständig neu bearbeitet."

Position aller Fleischstücke am Kalb (25. Auflage 1897)
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Die Prato im 21. Jahrhundert

Auf Viktorine Leitmaier geht auch die sogenannte Die kleine Prato. Kochbuch für den kleinen Haushalt von 1931 zurück. Sie passt damit die "Prato" den Bedürfnissen und den finanziellen Möglichkeiten der Zwischenkriegszeit an. Das Buch erscheint in 5 Auflagen bis 1966.

Die "Prato" ist aber auch im 21. Jahrhundert angekommen. 2006 brachte Christoph Wagner die Prato. Die gute alte Küche. Neu ediert und kommentiert heraus. Er greift dabei auf die 24. Auflage von 1895 zurück, bereichert diese aber mit Erläuterungen und Kommentierungen, die den Pratoschen Text erhellen und die zeitliche Distanz in Vokabular und Ausdrucksweise überbrücken.

"Die süddeutsche Küche" war offenbar bereit am Ende des 19. Jahrhunderts ein Standardwerk und wurde vielfach ausgezeichnet, darunter mit mehreren Goldmedaillen bei Kochkunstausstellungen. Nur die Goldmedaille von 1897 bei der Ausstellung in Baden erlebte Katharina Prato noch persönlich. Es folgten Goldmedaillen 1898 in Triest, 1906 in Wien, 1909 in Märisch-Ostrau. Werbewirksam wurden diese Auszeichnungen, zur Gestaltung des Deckblattes jeder Neuauflage benützt. 1899 integrierte man den Dank der Erzherzogin Maria Josepha für die Dedikation des 200.000sten Exemplars der "Süddeutschen Küche" in das Frontispiz, nicht zuletzt als Demonstration der Anerkennung durch das Kaiserhaus – auch das übrigens etwas, was man bereits in Kochbücher der 16. und 17. Jahrhunderts beobachten kann.

Vorsatzblatt mit Medaillen und dem Dank der Erzherzogin Maria Josepha, 41. Ausgabe 1907.
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Katharina Pratos "Süddeutsche Küche" setzte sich aber gegen die Flut der gleichzeitig erscheinenden Kochbücher auch deshalb durch, weil die Autorin ihren Horizont weiter steckte als viele ihrer Konkurrentinnen und Konkurrenten. Der Markt war damals voll mit Regionalkochbüchern – vorzugsweise zur Wiener Küche, aber auch zur Küche von Graz, Linz, Prag, … Katharina Prato aber widmete sich dem "süddeutschen" Raum. Was sie darunter verstand, wird deutlich, wenn man sich den Titel der von ihr persönlich betreuten,1892 erschienenen italienischen Ausgabe ansieht: "La Cucina della Mitteleuropa".

Auszug aus dem Register der ersten Auflage.
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Konzept der Verwertung from nose to tail

Sieht man sich das Register der ersten Auflage an, wird deutlich, dass Katharina Prato zwar die Küchen der habsburgischen Kronländer im Auge hatte, sehr wohl aber bereits 1858 auch internationale Rezepte aus England, Frankreich, Italien, … mit eingearbeitet hat. Genauso scheint sie sich aber auch an traditionellen, historischen Kochbüchern orientiert zu haben, denn neben allen modernen Zügen trifft man auch bei ihr auf die seit dem Mittelalter bekannte und in der Kulinarik wesentliche Unterscheidung von Fleisch- und Fasttagen (vgl. beispielsweise in der ersten Auflage 1858 die Kapitel "Suppen an Fleisch- und Fastentagen" S.49ff. oder "Assietten an Fleisch- und Fastentagen" S. 119ff.). Daran ist aber auch abzulesen, dass die religiös motivierte Tradition der Differenzierung in Fleisch- und Fastentage im Europa des späten 19. Jahrhunderts noch fester Bestandteil des common sense war.

Auch das heute wieder so moderne Konzept der Verwertung from nose to tail ist etwas, das in Katharina Pratos Kochbuch allgegenwärtig ist – Rezepte zu allen denkbaren Innereien gehören hier her, genauso wie die Herstellung von Wurst aus diversen Fleischresten. Auch damit steht Katharina Prato in einer historischen Tradition von vergleichbaren Rezepten, die bereits Kochrezeptsammlungen des Spätmittelalters ganz selbstverständlich transportieren. Die Zeit des verschwenderischen Umgangs mit im Verhältnis zum Einkommen billigen Lebensmitteln hatte noch nicht begonnen.

Allein diese wenigen Hinweise zeigen, welch wertvolle Quelle Katharina Pratos "Süddeutsche Küche" darstellt. Wir haben durch die geschlossene Überlieferungsreihe von 1858 bis 2007 einen Bestand vor uns, der ein Fundus sein kann für kulturhistorische Fragen in Bezug auf Entwicklungen und Veränderungen von Konsum- und Ernährungsgewohnheiten, vom sich wandelnden Küchenvokabular der "süddeutschen Küche" als Seismograph des Sprachwandels ganz abgesehen. (Karin Kranich, 10.6.2022)

Literatur:

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