Bis zum Ausbruch der Pandemie ist Maria Kapeller selbst viel gereist. Jetzt macht sich die Journalistin Gedanken darüber, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte. Und das im doppelten Wortsinn. In ihrem kürzlich erschienenen Buch "Lovely Planet" untersucht sie penibel den menschlichen Reisetrieb und stellt Fragen wie: Erfüllt uns die Art, wie wir aktuell reisen? Auf welche Art können wir verantwortungsvolleres Reiseverhalten mitgestalten? Dabei hat Kapeller selbst ein beachtliches mentales Wegstück zurückgelegt.

Maria Kapeller, Jahrgang 1983, ist Autorin, Reisejournalistin und Gründerin eines alternativen Online-Reisemagazins.
Foto: Jasmin Walter

Mit 18 Jahren verlässt sie die gewohnte dörfliche Umgebung Salzburgs und beschließt, ein Jahr lang in einer Bar in Wisconsin in den USA zu jobben. Die Initialzündung zu ihrer folgenden Reisesucht? Kapeller ist zumindest ein paar Jahre lang ständig unterwegs, arbeitet auch als Reisejournalistin. Doch schon bald verändert sich der Fokus ihrer Arbeit. Die Autorin gründet das alternative Online-Reisemagazin Kofferpacken.at, in dem sie sehr konkrete Empfehlungen für achtsames und langsames Reisen gibt. Ganz im Sinne dieses Slow-Travel-Ansatzes hat sie zuletzt Griechenland, Bulgarien und Marokko auf dem Land- und Seeweg erkundet und ihre Erfahrungen unter anderem im RONDO geteilt.

Kaum ein Aspekt der Lebenswelt im Globalen Norden war zuletzt in so kurzer Zeit einem so starken Bedeutungswandel unterworfen wie das Reisen. Durch die Klimakrise ist Reisen von der Horizonterweiterung mit Potenzial zur Völkerverständigung zum größten globalen Gefährder umgedeutet worden. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, was auch Kapellers Buch in einer angenehmen Ausnahme so versteht. Es ist der wohlwollende Versuch, eine neue, verträglichere Realität des Unterwegsseins zu schaffen, mit der eigenen Verantwortung als wichtigstem Reiseziel. Wir haben die Autorin getroffen, um über Kernthemen der aktuellen Debatte um das Reisen zu plaudern.

Woher kommt der menschliche Reisetrieb?

Maria Kapeller hat eine sehr individuelle Erklärung. Schon mit den ersten Gehversuchen im Ausland habe sie gemerkt, dass sie unterwegs jemand anderer sein kann als bei ihr zu Hause im Dorf. Nach Wisconsin folgten daher gleich weitere Aufenthalte in London und Irland. Das Heraustreten aus der Komfortzone bewirkt unter Umständen, dass man alte Rollen ablegt und neue ausprobiert. Das Bewältigen unerwarteter Herausforderungen schärft wiederum den Verstand und macht einen insgesamt gelassener. Es scheint seit den Steinzeitmenschen so zu sein, dass Ortswechsel eine latente Angst oder Unsicherheit und dadurch erhöhte Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Deshalb würden auch viele Reisende davon sprechen, dass sie ihre Umgebung fern von zu Hause stets neugieriger und offener wahrnehmen. Reisen oder Unterwegssein ist demnach zuallererst ein Konfrontiertsein mit dem Leben.

Kann man positive Unsicherheit und Offenheit überhaupt erlangen, wenn wir den Ort nie wechseln?

Kann man, sagt Kapeller, aber es sei schwer. Letztlich ginge es beim Schärfen der Sinne immer auch um eine erhöhte Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber. Soll heißen: Die Menschen beschäftigten sich zunächst einmal zu wenig mit sich selbst. Dies zu tun fällt ihnen leichter, wenn sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung sind. Die Schwierigkeit ist nun, die von Reisen bekannte erhöhte Aufmerksamkeit auch auf alltägliche Situationen ohne Ortswechsel zu übertragen. Leicht sei dies nicht, da Routinen und Notwendigkeiten die Sinne abstumpfen. Kapeller ist der Überzeugung: "Würden wir immer so durch den Alltag gehen, wie wir das normalerweise nur auf Reisen tun, hätten wir auch ohne Ortswechsel andere Begegnungen."

"Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren", Verlag Kremayr-Scheriau, 224 Seiten, 23,00 €
Foto: Kremayr-Scheriau

Wie sollen wir andere Sichtweisen und Kulturen kennenlernen, wenn wir nicht den Ort wechseln?

Das vermag sich auch die Reiseautorin Kapeller nur teilweise vorzustellen. Allerdings sind Ortswechsel nicht zwangsläufig damit verbunden, andere Menschen besser zu verstehen. "Zehn Tage irgendwohin in den Busch zu fliegen und dort andere Leute zu sehen, hat meist wenig mit kulturellem Austausch zu tun." Um zu verstehen, müsse man sich Zeit nehmen, und dann sei es meist auch schon egal, ob die Anreise auf dem Land- und Seeweg deutlich mehr Zeit benötige. Es gelte: Lieber seltener in die Ferne reisen, dafür aber intensiver. Auch will Kapeller nicht grundsätzlich ausschließen, dass man Neues fast ganz ohne Ortswechsel erfährt. Sie selbst sei immer wieder mit einem in Österreich lebenden Iraker durch Salzburg gestreift und habe dabei enorm viel über den Irak erfahren. Natürlich fällt man auf diese Weise um die Sinnesein drücke um, etwa die Geräusche und Gerüche auf einem irakischen Basar. "Die Fähigkeit, derlei wahrnehmen zu können, fehlt aber auch vielen Menschen zu Hause in ihrem bekannten Umfeld", sagt Kapeller.

Was bringt einen dazu, sein Reiseverhalten nachhaltig zu verändern?

Als Reisejournalistin vielleicht sogar die monotone Frage anderer: "Und – wo geht’s als Nächstes hin?" Kapeller sah in dieser Floskel genau jene Punkte verpackt, die sie seit längerem kritisch sieht: Die Vielfliegerei dient oft nur der eigenen Klischee-Erfüllung und wird vom Umfeld als Statussymbol wahrgenommen. Beides wollte sie nicht mehr für sich. Also entschloss sich Kapeller sukzessive dazu, seltener, dafür aber länger zu verreisen. In der Regel unternimmt sie jetzt nur mehr eine landgebundene, mehrwöchige Reise pro Jahr. Auch, wie sie selbst eingesteht, weil es ihre Lebensumstände erlauben. Es dürfe bei aller Notwendigkeit zu Maß und Ziel dennoch nicht darum gehen, dass man das Reisen als solches verteufelt. Doch könne man die Frequenz der eigenen Reisen recht gut an einer einfachen Frage vorweg ausrichten: Wird mich diese Reise erfüllen? Das klingt hochtrabend, gilt aber wohl grundsätzlich bei jeglichen Formen von Konsum.

Welche Neuentdeckungen haben wir durch die Pandemie gemacht?

Kapeller entscheidet hierbei recht klar zwischen einer abstrakten Mehrheit und eigenen Erfahrungen. Sie befürchtet, dass die neue Liebe zur Nähe, sprich die vielen Österreich-Urlaube während der vergangenen zwei Jahre nicht aus einem Umdenken heraus erfolgt sind, sondern aus purer Notwendigkeit. Jetzt, wo sich wieder die Möglichkeit zum Fliegen bietet, wird auch geflogen. Für sie selbst gab es aber eine Neuentdeckung der Nähe. Die Reiseautorin hat in der Kindheit praktisch nur Österreich erkundet, hauptsächlich wandernd. Dieses Gefühl, mit und in der Natur zu sein, ist mit der Pandemie zurückgekehrt – und Kapeller ist von der Stadt aufs Land zurückgekehrt. "Ich habe mir in diesen zwei Jahren häufig vorgestellt, das Tal, in dem ich wohne, ist die ganze Welt." Sie ist oft sieben, acht Stunden am Tag herumgewandert und hat nur die unmittelbare Umgebung bis in kleinste Details und dabei viel Neues an sich selbst entdeckt. Damit schließt sich für Kapeller der Kreis vom Reisen als Erkundung der Welt und wie wir uns dabei durchs eigene Leben bewegen wollen. (Sascha Aumüller, 26.5.2022)