Das Team-Meeting fand auf dem Mars statt. So geschehen bei der Boston Consulting Group (BCG). Wie? Sie hielten die Besprechung kurzerhand virtuell als Avatare in einem Metaverse ab. So nennt man ein fiktives Universum. Es ist ein digitaler Raum, der sowohl virtuelle Elemente als auch die physische Realität miteinbezieht. "Es ist nicht weniger als die Weiterentwicklung des Internets", so Tibor Mérey, Managing Director der Strategieberatung der Boston Consulting Group. Wichtig: Metaverse bezeichnet jede Art von digitalem Universum, nicht nur das der Firma Meta. Die Umbenennung des ehemaligen Facebook-Konzerns in Meta war ein Marketingschachzug und zeigt, welche Richtung der Tech-Gigant einschlägt.

Verschiedene Unternehmen bauen gerade an ihrer Version einer Metawelt. Einige kommen aus dem Gaming-Bereich wie das Unternehmen The Sandbox, Decentraland oder Fortnite. Aber auch andere große Player wie Apple, Google, Microsoft und viele weitere entwickeln Anwendungen und/oder Technologien im Bereich der Extended Reality (erweiterten Realität). Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man die Entwicklungen betrachtet, stellen sie die momentan größte Utopie beziehungsweise Dystopie im Bereich der Digitalisierung dar.

Mal ein bisschen Metaverse probieren: hier am Mobile World Congress im März in Barcelona.
Foto: imago images/Xinhua

Willkommen im Neuen

In Metawelten wird versucht, zwei verschiedene Technologien zu vereinen: Virtual (VR) und Augmented Reality (AR). Unter Augmented Reality versteht man eine computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Werden etwa an der Windschutzscheibe eines Autos das Tempo oder die Wegbeschreibung angezeigt, handelt es sich um eine Form von AR. Wer schon einmal eine VR-Brille getragen hat, weiß, dass diese den Träger vollständig in eine digital erschaffene Welt versetzt. Werden diese zwei Verfahren nun auf unterschiedlichste Weise kombiniert, spricht man in Expertenkreisen von Extended Reality (XR).

Bisher tummeln sich vor allem Menschen aus der Gaming-Szene auf diesen Plattformen und nutzen diese Technologien. Die Gamer besitzen oft schon das richtige Equipment wie eine VR-Brille und sind technikaffin. "Der nächste Schritt ist, dass Unternehmen diese Technologien kaufen und nutzen", meint Tibor Mérey. "Workshops und Meetings als Avatare in digitalen Universen abzuhalten ist jetzt schon möglich und wird in den kommenden drei bis fünf Jahren vermehrt von Unternehmen angenommen werden."

Diese Technologien kommen momentan zum Beispiel in der Automobilbranche, Fertigungsindustrie und im Versorgungssektor, im Bereich Wasser, Abwasser, Elektrizität etc., zur Anwendung und werden vor allem zur Reparatur, Wartung, Design und Montage eingesetzt. "Die Tech-Branche wirbt nicht gerne damit, aber momentan werden solche Technologien zum Beispiel auch für polizeiliche Trainings verwendet", merkt Nakeema Stefflbauer an – sie ist Investorin und Gründerin der Organisationen FrauenLoop und Techincolor, einem Netzwerk von diversen Tech-Führungskräften in Europa.

Jobboom in XR

Im XR-Sektor werden bald noch mehr Arbeitskräfte gesucht. Bis zu 2,4 Millionen neuer Jobs sollen allein in Europa bis 2025 laut EU-Kommission entstehen. Ausgeschrieben werden diese Jobs bei IT-Firmen, Beratungsagenturen und anderen. Ob angestellt oder selbstständig: Homeoffice wird auch hier sehr gut möglich sein.

Markus Murtinger, Chef der Unit Experience Business Transformation des Austrian Institute of Technology (AIT), erkennt vor allem in drei Bereichen neue Arbeitsplätze: Interaktion zwischen Mensch und Maschine, Technik/Visualisierung und Sicherheit/Recht. Tibor Mérey (BCG) betont, dass nicht nur technische Berufe gebraucht werden: "Manche Metawelten werden mehr oder weniger ein Abbild unserer physischen Welt sein, mit Geschäften, Freizeitaktivitäten und vielem mehr. Dafür braucht es Geschichtenerzähler sowie Metaökonomen und Betriebswirte. Sie kümmern sich um die Wertentwicklung von NFT-(Non-Fungible Token-)Kollektionen, virtuelle Immobilien und Netzwerkeffekte. Die Bandbreite der Jobprofile ist demnach schier unendlich.

Die Investorin Nakeema Stefflbauer betrachtet den Hype um die neuen Arbeitsplätze kritisch: "Wir sehen schon jetzt, dass statt Menschen vor allem Chatbots eingesetzt werden. Viele Jobs könnten von KI-Systemen übernommen werden – was für Unternehmen wahrscheinlich auch kostengünstiger wäre." Und wieder bleibt die Frage: Wer programmiert all diese Algorithmen, mit welchem Weltbild dahinter und mit welcher Absicht? (Natascha Ickert, 27.5.2022)