Die reflektierenden Sandsäcke müssten von automatischen Verlegungsmaschinen in der Wüste ausgelegt werden.

Foto: SCIENCE MOONSHOT/N+P INNOVATION/Lumobag

Radko Pavlovec hat sich die Mühe gemacht, jeden einzelnen der vergangenen Berichte des Weltklimarats zu lesen. Tausende Seiten hat er durchgeackert und am Ende vor allem eine Erkenntnis gewonnen: Wir werden unsere Klimaziele nicht mehr erreichen. Weder das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius, noch das, sie auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, könne sich realistischerweise ausgehen. Bei über zwei Grad Erwärmung drohe die Gefahr, bestimmte Kipppunkte auszulösen. "Dann ist es endgültig vorbei", sagt der tschechisch-österreichische Physiker und Energieexperte, der von 1998 bis 2012 Anti-Atomkraft-Beauftragter des Landes Oberösterreich war, im Gespräch mit dem STANDARD.

Seine Idee, um die weltweiten Klimaziele doch noch einzuhalten, ist ein Plan, der alles andere als gewöhnlich klingt: Sogenannte Lumobags, Sandsäcke, die mit einer Folie und einer dünnen Aluminiumbeschichtung bedeckt sind, könnten in den Wüsten dieser Welt Sonnenenergie reflektieren, um so die Erwärmung durch die globalen Treibhausgasemissionen zu kompensieren. Erst vor wenigen Tagen stellte Pavlovec die Idee beim interdisziplinären Workshop "Science Moonshot" in München vor, wo sie auch von einigen Experten Unterstützung erhielt.

Fläche von der Hälfte Österreichs

Laut Pavlovecs Berechnungen brauche es eine Fläche von rund 40.000 Quadratkilometern, ungefähr die Hälfte der Fläche Österreichs, die mit den reflektierenden Sandsäcken bedeckt sein müsste, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. "Verglichen mit den 150.000 Quadratkilometern an Wald, die jedes Jahr der Rodung zum Opfer fallen, ist diese Fläche ziemlich überschaubar", sagt Pavlovec. Bis 2031 sei es theoretisch möglich, eine Fläche in dieser Größe mit den Säcken auszulegen.

Demnach könnten die Sandsäcke vor allem in Wüsten wie der Sahara oder in Nordwestaustralien ausgelegt werden, wo die Sonneneinstrahlung hoch ist und die Gebiete kaum für die Landwirtschaft oder andere Tätigkeiten genutzt werden. Die Säcke würden vor Ort mit Sand befüllt werden um Transportkosten zu sparen, und seien im Vergleich zu größeren Reflexionsplanen flexibler und einfacher zu handhaben, sagt Pavlovec. Da nur eine dünne Aluminiumschicht rund um die Säcke verwendet würde, halte sich auch der Aluminiumverbrauch in Grenzen. Pro Quadratkilometer würden ungefähr 100 Kilogramm Aluminium benötigt werden, rechnet Pavlovec vor. Dieses könne vor Ort 95 bis 96 Prozent der Sonnenenergie reflektieren und ließe sich danach wieder recyceln.

Stürmen standhalten

Auch Sturmspitzen von 150 Stundenkilometern, wie sie in Wüsten immer wieder vorkommen, würden die Sandsäcke standhalten, ist Pavlovec überzeugt. Komme es zu Beschädigungen, ließen sich die Säcke sehr schnell wieder reparieren oder austauschen. Rund fünf Euro soll die Herstellung eines Sacks am Ende kosten. Pro mit Lumobags ausgelegten Quadratmeter könnte die Erwärmung von ungefähr einer Tonne CO2 kompensiert werden, sagt Pavlovec.

Ein Ersatz für die notwendige Energiewende sei die Idee aber nicht, betont er, sondern nur eine Notfallmaßnahme, um Klimakipppunkte zu verhindern. Der Umbau unseres Energiesystems müsse nach wie vor an erster Stelle stehen.

Pilotanlage in Spanien

Zudem steckt das Projekt derzeit noch in der Gründungsphase. In den nächsten zwei Jahren könnte es laut Pavlovec eine erste Pilotanlage im Süden Spaniens geben, wo auf 16 Quadratkilometer und bei wüstenähnlichen Bedingungen erste Tests mit der Anlage durchgeführt werden. Wie stark die Reflexion ausfällt, könnte dann auch über Satelliten gemessen werden. Eine solche Fläche würde die Erwärmung durch den CO2-Ausstoß eines 2.500-Megawatt-Kohlekraftwerks kompensieren, sagt Pavlovec. Nach vier Jahren könnte das Projekt dann auch auf größere Flächen ausgeweitet werden.

Noch fehlt es an Investoren und geeigneten Technologien, die Idee auch großflächig in die Tat umzusetzen. Um die Sandsäcke in den Wüsten zu auszulegen, bräuchte es laut Pavlovec automatische Verlegungsmaschinen, die erst entwickelt werden müssten. Zudem müsste für die gesamte 40.000 Quadratkilometer große Fläche, die für die Erreichung der Klimaziele laut Pavlovec nötig wäre, Investitionen von vielen Milliarden Euro im Jahr aufgestellt werden.

Auch andere Ideen

Und das Projekt ist längst nicht das einzige, das um Investoren buhlt. Seit Jahren stellen Forscher und Entwickler verschiedene Geoengineering-Ideen vor, mit denen die Erde in Zukunft gekühlt werden soll. Diese reichen von der künstlichen Wolkenaufhellung in der Arktis über das Ausbringen von Aerosolen in der Stratosphäre bis hin zur Einlagerung von Biomasse in den Tiefen des Ozeans. Unter Kima- und Umweltwissenschaftern sind diese Vorhaben allerdings ziemlich umstritten, da die Folgen für den Planeten schwierig vorhersagbar sind.

Laut Pavlovec sei das Risiko bei den reflektierenden Sandsäcken im Vergleich zu anderen Geoengineering-Ideen geringer. Da sich die Sandsäcke jederzeit wieder leicht entfernen ließen, habe man die volle Kontrolle über deren Auswirkungen, glaubt er.

Auf viele Regionen verteilen

Auch die Auswirkungen auf die Natur seien am Ende gering. Viele der Tierarten, die in der Wüste leben, würden ein relativ großes Areal bewohnen und seien von einem Bereich, der mit Säcken belegt ist, nicht so sehr gestört. Zudem soll es ausreichend Freiraum zwischen den Sandsäcken geben, in denen sich auch Tiere ungehindert fortbewegen können. Auch die lokale Temperaturdifferenz, die durch die Reflexion entsteht, werde vor Ort wohl nur geringe Auswirkungen haben, schätzt Pavlovec. Ohnehin sollten die Sandsäcke künftig nicht nur in einer Region liegen, sondern sich auf viele Wüstenregionen der Welt verteilen.

Bis es so weit ist, dürfte es allerdings noch einige Zeit dauern. Ob die reflektierenden Sandsäcke dann tatsächlich einen Beitrag zur Temperatursenkung leisten können, müssen sie erst in der Praxis beweisen. (Jakob Pallinger, 30.5.2022)