
Sieht aus wie ein Mensch, erfüllt aber nicht alle dafür nötigen Kriterien: Caroline Baas als Friday-for-Future-Aktivistin.
Was würde dem homosexuellen Kaiserbruder Erzherzog Ludwig Viktor, kurz Luziwuzi, heute über Wokeness und Digitalität durch den Kopf gehen? Oder warum will eine verunglückte Fridays-for-Future-Aktivistin lieber nicht wiederbelebt werden?
Der Theaterabend "Keine Menschenseele" im Kasino des Burgtheaters fächert dazu Antworten auf. Die Uraufführung der Gruppe Laokoon spielt anhand von vier Untoten (Ella, Peter, Walter und Luziwuzi) durch, wie heute dank spezieller Software und künstlicher Intelligenz (KI) Stimmen und Sprechweisen Verstorbener neu generiert werden können. Und was daraus folgt.
Der technikschweren Seite dieses Themas rückt das verantwortliche Trio – Cosima Terrasse, Moritz Riesewieck und Hans Block – zwar mit farbigen Humanoidfiguren zu Leibe, die Inszenierung kommt in ihrer Mechanik protomenschlichen Sprechens und Sichbewegens aber dennoch weitgehend zum Erliegen. Da wippen die bunten Robotikmenschen vor ihren telefonzellenhaften, aufrechten Sargkäfigen im gleichen Rhythmus, als wären sie Teletubbies (wer sie noch kennt).
Neoprensteif
Sie stecken in ausgebeulten Neopren- und Knautschlackteilen, die jedem 70er-Jahre-Disco-Revival zur Ehre gereichen. Mit Glamour hat das Jenseits dieser vier Wiedergänger aber nichts zu tun. Sie hätten den Schlaf der Ewigkeit verdient, ergreifen aber nun wieder das Wort, weil die Technologie dies eben möglich macht. Auch der Wiener Sprechmaschinen-Erfinder Joseph Faber (1786–1866) ist mit dabei, reinkarniert als Peter, der die Stimmen-App Euphonia erfunden hat und betreibt. Auch er (Philipp Hauß) ist ein neoprensteifer Fantasie-CEO.
Keine Menschenseele deutet die Konflikte an, die mit der Verselbständigung untoter Stimmen und damit ferngesteuerter Redesubjekte einhergehen können. Man stelle sich etwa vor, verblichene Politiker twitterten aus dem Jenseits munter weiter und ihre KI-Persönlichkeiten fänden irdisch Zulauf. So steht am Ende dieses Gedankenexperiments – in Referenz zur real existierenden Steuermacht eines Elon Musk mit Twitter – die Idee, das Start-up Euphonia werde von einem Superreichen namens Didi gekauft, Firmensitz Fuschl am See, Slogan: "Euphonia verleiht Flüüügel!"
Lianen aus Kabeln
Die vier (weiters: Caroline Baas, Hans Dieter Knebel, Lukas Watzl) in einem finsteren, von Martin Zlabinger mit Kabel-Lianen behängten Raum der Zukunft wiederbelebten Gestalten gewinnen im Verlauf des Abends an Lebendigkeit, aber ihr puppenhaftes Spiel erschöpft sich in seiner eigenen Thesenhaftigkeit und ist auf Dauer auch ein wenig fade anzuschauen.
Die Mechanik hat anfangs zwar Witz, etwa wenn die Stimmavatare lernen, angesichts einer Torte ein genüssliches "Hm" zu sagen, aber über ein gefühlloses "Hm" nicht hinauskommen. Oder wenn Luziwuzi mit weichem österreichischem Idiom von "Balästen", "Besitzdümern" und "Borzellan" schwärmt. Doch fehlt es dieser streng retrofuturistischen Szenerie an einer Verbindung zum Lebendigen. So bleibt es ein abgekapseltes Spiel. (Margarete Affenzeller, 26.5.2022)