Das ungarische Parlament hat am Dienstag mit der Zweidrittelmehrheit der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz die zehnte Änderung des Grundgesetzes verabschiedet.

"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", lautete das Diktum des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888–1985). Der Vordenker unter den NS-Juristen zog es heran, um das Primat des Politischen über das Recht festzuschreiben. Und um – zumindest in den ersten Jahren – die Diktatur von Adolf Hitler zu bejubeln.

Der Ungar Viktor Orbán redet zwar viel über die "Souveränität" seiner eigenen Herrschaft, die er gegen "Brüssel", das "neue Moskau", kämpferisch behauptet. Auf Carl Schmitt beruft sich der Rechtspopulist in der Öffentlichkeit nicht. Das nehmen ihm seine intellektuellen Wasserträger ab. So etwa Márton Békés, der Forschungsdirektor des Terrorhauses, eines Budapester Museums, das so tut, als ob Ungarn historisch gleichermaßen "Opfer" des Faschismus und des Kommunismus gewesen wäre. Dem faschistischen Ideologen Schmitt bringt Békés allerdings Enthusiasmus entgegen. In seinem Pamphlet "Der kulturelle Feldzug. Theorie und Praxis der kulturellen Macht" sieht er in Schmitt den Lieferanten der astreinen Ideologie zur Praxis der Machtausübung Orbáns.

Fünf Arten des Notstands

Tatsächlich liebt Viktor Orbán den Ausnahmezustand. Seine Verfassung aus dem Jahr 2011 regelt allein fünf Arten des Notstands, die es dem Ministerpräsidenten erlauben, geltende Gesetze zu annullieren und die Bürger- und Menschenrechte einzuschränken. 2015 kam der "Massenmigrationsnotstand" dazu – er gestattete es Orbán, das Asylrecht faktisch zu ignorieren –, 2016 der Terrornotstand und 2020 im Zuge der Corona-Pandemie der Gesundheitsnotstand.

Nach der Aprilwahl kaum im höchsten Regierungsamt bestätigt, ließ Orbán eine neue Art des Notstands durchs Parlament winken, um ihn nur Stunden später zu verhängen: den Notstand wegen Kriegs in einem Nachbarland, sprich: der Ukraine. Es ist ein Vorwand, um nach dem Ende Mai auslaufenden Corona-Notstand weiter Notstandsverordnungen erlassen zu können. Im Corona-Notstand hatte Orbán oppositionell regierten Städten Geld weggenommen und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt.

Schon vor der Kreation neuer Notstände hatte Orbán die Demokratie in Ungarn ausgehöhlt, die Medien unterdrückt, die Justiz beschädigt. Die Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz-Partei im Parlament, die Regierungsmacht als solche sowie EU-Gelder ermöglichten es. Der nächste Notstand macht es für ihn noch komfortabler, die letzten Reste der Demokratie zu beseitigen. (Gregor Mayer, 25.5.2022)