Die an Boris Johnson gerichteten Rücktrittsforderungen werden mehr. Er erhielt aber auch Unterstützung aus seiner Partei.

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Alkoholgelage bis tief in die Nacht, mit Partymüll übersäte Büros, offener Hohn für Sicherheitsbeamte und Putzpersonal – der am Mittwoch veröffentlichte Bericht über Corona-Partys am Amtssitz des britischen Premierministers zeichnet ein verheerendes Bild der Zustände in Nummer 10 Downing Street. Regierungschef Boris Johnson gab sich demütig und übernahm "die volle Verantwortung". Nach monatelangen Kontroversen müsse das Land nun aber das Thema hinter sich lassen, forderte der Konservative.

Die Vorwürfe, geschürt von Johnsons einstigem Chefberater Dominic Cummings, beschäftigen die politisch Interessierten seit sechs Monaten und haben zu einem massiven Ansehensverlust des Brexit-Populisten geführt. Unter dem Druck der Öffentlichkeit sowie der Opposition beauftragte der Premier die Spitzenbeamtin Sue Gray mit einer Prüfung der Vorgänge. Noch in den letzten Tagen vor der Veröffentlichung von Grays 60-seitigem Bericht unternahm Johnson offenbar den Versuch, die Staatssekretärin im Kabinettsbüro zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Versagen in der Downing Street

Gray spricht von einem "Versagen von Führungsqualität und Urteilsvermögen" in der Downing Street, wo die Stabsstelle des Premierministers und das Kabinettsbüro zur Koordinierung der Regierungsarbeit beheimatet sind. Viele der insgesamt 16 untersuchten Events hätten nicht stattfinden dürfen. Die Staatssekretärin weist zudem darauf hin, dass sich jüngere Mitarbeiterinnen in Sicherheit wiegten, weil das Führungspersonal, angefangen beim Premier selbst, an den Partys teilnahm. Für die von Rechtsverstößen gekennzeichnete Atmosphäre müssten sowohl Politiker und Spitzenbeamte die Verantwortung übernehmen.

Einer separaten Untersuchung der Kriminalpolizei zufolge haben 83 Menschen gegen Corona-Vorschriften und damit gegen geltendes Recht verstoßen. Zu all jenen, die Geldstrafen, im Normalfall 50 Pfund, bezahlen mussten, zählten außer Johnson selbst auch dessen Frau Carrie sowie der Finanzminister Rishi Sunak. Beide hatten im Juni 2020 an einer Geburtstagsparty für den Premier teilgenommen.

Entschuldigungen von Johnson

Johnson gab sich in einer kurzen Stellungnahme im Unterhaus "demütig" und betonte, er habe an mehreren der Events nur für einige Minuten teilgenommen, um scheidenden Mitarbeitern zu danken und Erfolg zu wünschen. "Was danach geschah, entzog sich meiner Kenntnis. Ich war überrascht und enttäuscht, zum Teil entsetzt über das Benehmen."

Ausdrücklich entschuldigte sich der Premierminister bei Putzleuten und Sicherheitsbeamten, deren Arbeit einige der Feiernden behindert oder sogar offen verhöhnt hatten. Zu Hilfe kam dem Partypremier Grays Zugeständnis, dass sich seit ihrem Zwischenbericht Ende Januar manches in der Downing Street verändert habe. Johnson tauschte den Spitzenbeamten in Nummer 10 sowie seinen Büroleiter aus, zudem gibt es jetzt klarere Richtlinien und Beschwerdeinstanzen.

Oppositionsführer Keir Starmer sprach von einem "Katalog von Kriminalität", für den Johnson verantwortlich sei. Der Premier handle nicht "verantwortungslos, ehrlich und im Interesse des Landes", wie es die Briten vom Bewohner der Downing Street erwarten. "Sie können nicht Gesetzesmacher und Gesetzesbrecher sein. Es ist Zeit, die Taschen zu packen." Diese und ähnliche Rücktrittsforderungen anderer Oppositionsparteien wies Johnson knapp zurück.

Strafen für Mitarbeiter

Grays Zwischenbericht war Ende Januar durch die Nachricht in den Schatten gestellt worden, dass damals nach wochenlanger Weigerung plötzlich auch die Kriminalpolizei Ermittlungen aufgenommen habe. Scotland Yard kam dem Premierminister auch diesmal zu Hilfe: Die Behörde beendete vergangene Woche ihre Untersuchung, ohne der ersten Geldstrafe gegen Johnson weitere Verwarnungen folgen zu lassen. Hingegen mussten dutzende jüngere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in niedrigen Positionen Strafen hinnehmen, teils für mehrere Partys.

Zusätzlich wirkt sich der politische Zeitplan zu Johnsons Gunsten aus: Am Donnerstag verschwinden die Abgeordneten in die Pfingstferien, die diesmal mit den Feiern zum 70. Thronjubiläum der Queen zusammenfallen. Eine innerparteiliche Attacke auf den Regierungschef wird dadurch extrem unwahrscheinlich. Die Stimmung in der Parlamentsfraktion verdeutlichte am besten die Wortmeldung des Johnson-Kritikers Tobias Ellwood: Der Chef des Verteidigungsausschusses wurde aus den eigenen Reihen niedergeschrien, als er am Mittwoch seine Kollegen zur Rebellion aufforderte.

Unterdessen gerät Scotland Yard immer mehr ins Zwielicht. Der frühere Polizeidirektor Brian Paddick, mittlerweile liberaldemokratischer Lord im Oberhaus, will seinen Ex-Arbeitgeber mit einer Klage dazu zwingen, das Vorgehen und die Schlussfolgerungen aus dem Ermittlungsverfahren detailliert offenzulegen. Bisher verweigert sich die größte Polizeibehörde des Landes jeglicher Transparenz, zu der auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan mahnt. (Sebastian Borger, 25.5.2022)

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