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Ivo Pogorelich, der ewige subjektive sensible Tastenschwärmer.

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Ein Rezital mit Ivo Pogorelich hat immer etwas Seltsames. Während sich der große Saal im Konzerthaus füllt, sitzt er im Schlabberlook am Klavier und spielt sich seelenruhig ein. Erst quasi im letzten Augenblick verlässt er das Podium, um dann im Frack wiederzukehren. Pogorelich war immer schon auch ein Tastenextremer: sein hypersensibles Spiel, seine Anschlagskultur und sein Klangreichtum sind einzigartig, ebenso wie der freie Umgang mit der Agogik.

Unlängst hat der 64-Jährige ein Album mit dem Spätwerk Chopins veröffentlicht, nun servierte er die Musik des polnischen Meisters live. Dabei bewies er erneut, dass die Partitur für ihn in erster Linie eine Gelegenheit ist, sich selbst auszudrücken. Die Polonaise-Fantaisie op. 61 klingt bei Pogorelich traumverhangen und von erschütternder Vergänglichkeit.

Wucht und Zartheit

Wie in Zeitlupe gleiten die Finger über die Tasten, und die Maßlosigkeit der Rubati kommt einem heute geradezu schamlos vor. Die komplexe h-Moll-Sonate lotet er in ihrer ganzen Wucht und Zartheit aus, mit extremer Dynamik und betörender Kantabilität. Nicht wiederzuerkennen ist die Fantasie op. 49 zwischen innigstem Pianissimo und brutalem Fortissimo.

Von bezaubernder Delikatesse ist die Berceuse op. 57; bis ins Unermessliche gedehnt die Barcarolle op. 60. Nach dem offiziellen Teil spielt Pogorelich noch zwei Chopin-Zugaben. Das Publikum klatscht begeistert, doch der geniale Exzentriker hat genug. Er verlässt nach kurzer, höflicher Verbeugung den Saal. (Miriam Damev,25.5.2022)