Vertriebene sind unabhängig von ihrer Herkunft hier, weil sie Schutz suchen, da ihr Leben in ihrem Heimatland in Gefahr war.

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Mit dem Ukraine-Krieg ist alles anders: Die Zuverdienstgrenze soll erhöht werden – die Summe, die Flüchtlinge in Grundversorgung dazuverdienen dürfen, ohne wieder auf der Straße zu stehen. Geht es nach Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), dann gilt das nur für Ukraine-Vertriebene. Im Ö1-Interview befand er, das man nicht vermischen dürfe, "was man nicht vermischen soll". Einerseits herrsche Krieg in Europa, andererseits steige die Wirtschaftsmigration an. Damit formuliert Karner glasklar, dass mit zweierlei Maß gemessen werden soll.

Die EU-Richtlinie für vorübergehenden Schutz für Geflüchtete, auf die sich die ÖVP letztlich beruft, existierte bereits während der Flüchtlingskrise 2015, kam aber nie zum Einsatz. Damals hatten die Nachbarstaaten der Konfliktgebiete bereits Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Die Regierung argumentiert, dass die Lage anders sei, da die Ukraine direkt an Europa grenze. Doch damit verkennt sie, dass vielen der Geflüchteten nichts anderes übrig blieb und bis heute bleibt, als weiterzuziehen, um überhaupt Asyl beantragen zu können.

Die Verfahren dauern teils Jahre – Jahre, in denen Betroffene ohne Absicherung warten müssen. Die EU-Richtlinie hätte ihre Flucht entkriminalisiert und einen raschen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Doch letztlich scheiterte sie daran, dass mehrere EU-Staaten niemanden aufnehmen wollten.

Feindbild Flüchtling

Die Unterstützung der Ukraine ist enorm wichtig – und sollte künftig unseren Umgang mit Flucht prägen. Vertriebene sind schließlich unabhängig von ihrer Herkunft hier, weil sie Schutz suchen. Ihr Leben war in ihrem Heimatland in Gefahr. Doch das eröffnet die Frage, wie es um Frauen und Kinder in den in Vergessenheit geratenen griechischen Flüchtlingslagern steht. Die Frage, ob Bomben in Rojava oder Kabul weniger tödlich sind als Bomben in Mariupol. Die Frage, ob Leben weniger wert ist, wenn es nicht aus Europa stammt.

Wenn die Volkspartei bisher über Flüchtlinge sprach, ging es meist um Abschiebungen, um Terrorismus, Vergewaltigung oder Islamisierung. Um Integration von Asylwerbern hat sie sich unterdessen politisch nicht wirklich geschert, diese gar abgelehnt. Bekam jemand Asyl, wurde sie unerbittlich gefordert.

Nun begründen ÖVP-Politiker ihren Kurswechsel, indem sie zwischen guten und schlechten Flüchtlingen unterscheiden. Als Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) im "Kurier"-Interview gefragt wurde, ob sich die Volkspartei bei ukrainischen Flüchtlingen leichter tue, weil sie hellhäutig und christlich sind, befand er: "Man soll nicht verschweigen, dass das eine Rolle spielt bei der Flüchtlingsaufnahme." Für jene, die in Österreich geblieben sind, zeichnet das ein verheerendes Bild. Doch aus ihrer Ausgrenzung ließe sich weiter politisch Kapital schlagen.

Asylpolitik neu denken

Sebastian Kurz hat einst die asylfeindliche Migrationspolitik der FPÖ übernommen und mit bürgerlicher Rhetorik geschmückt. So hat die ÖVP Wahlen gewonnen. Doch Kurz ist nicht mehr Kanzler. Schon jetzt sollte klar sein, dass zumindest einige der Neuankömmlinge bleiben werden. Die Ukraine-Krise sollte eine Chance sein, die Asyl- und Integrationspolitik der Republik komplett neu zu denken. Deren Betroffene bekommen die gesellschaftliche Spaltung, die über Jahre befeuert wurde, zu spüren – und zwar am eigenen Leib. (Muzayen Al-Youssef, 26.5.2022)