Eine Mehrheit der Wahlberechtigten wünscht sich eine schärfere Kontrolle der Regierung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen

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Linz/Wien – Weit und breit ist derzeit keine Kandidatin und kein Kandidat auszumachen, der dem amtierenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen das Amt streitig machen könnte. In der diese Woche durchgeführten repräsentativen Market-Umfrage im Auftrag des STANDARD sagen 46 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung, dass seine neuerliche Kandidatur "auf jeden Fall richtig" wäre, weitere 26 Prozent halten das Wiederantreten für "eher schon" richtig. Diese Werte sind etwas besser als im Dezember 2021 (da lauteten sie 40 plus 23) und sie zeigen vor allem, dass die Zahl der strikten Gegner Van der Bellens gesunken ist.

Im Dezember hatten noch 18 Prozent gesagt, sie fänden es sicher nicht richtig, dass der Amtsinhaber nochmals antritt, jetzt ist dieser Harte Kern der Gegner auf zehn Prozent zusammengeschmolzen. Weitere 18 Prozent (im Dezember: 19 Prozent) finden eine Kandidatur "eher nicht richtig".

Zufriedenheit mit der Amtsführung

Diese Ergebnisse passen zu der Einschätzung, dass zwei Drittel der Wahlberechtigten mit dem Ausgang der Wahl von 2016 zufrieden sind – Van der Bellen erhielt damals 53,8 Prozent der Stimmen. Unzufrieden mit dem Wahlergebnis – damals wie heute – sind vor allem die erklärten Anhänger der Freiheitlichen, deren Partei ja mit Norbert Hofer den Verlierer der Stichwahl gestellt hat.

David Pfarrhofer, der Wahlforscher des Linzer Market-Instituts, hebt hervor, dass Van der Bellen die in ihn gesetzten Erwartungen weitestgehend erfüllt hat: "Wir fragen da stets das Statement ab, ob der Herr Bundespräsident die Anliegen seiner Wähler verraten habe. Das bestreiten sechs von zehn Wahlberechtigten – als enttäuscht bezeichnen sich ausgerechnet die FPÖ-Wähler, die ihn mutmaßlich ohnehin nicht gewählt haben. "

Als große Stärke Van der Bellens bezeichnet Pfarrhofer dessen Verlässlichkeit: "45 Prozent stimmen voll der Aussage zu, dass er eine ruhige, verlässliche Figur in turbulenten Zeiten darstellt. So gesehen spielen ihm die besorgniserregenden sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in die Hände. Da mag man halt einen unaufgeregten Präsidenten, einen, der für alle Österreicher da ist. Diese klassische Zuschreibung aus der Kirchschläger-Ära wird von vielen Befragten auch auf Van der Bellen angewendet."

Ein Präsident für (fast) alle

39 Prozent sehen Van der Bellen eindeutig als Bundespräsidenten für alle Österreicherinnen und Österreicher, weitere 23 Prozent stimmen dieser Sichtweise zumindest überwiegend zu. Zum Vergleich: Im März 2010, Heinz Fischer bewarb sich gerade um eine zweite Amtszeit, trauten 72 dem damaligen Amtsinhaber (in leicht anderer Fragestellung) zu, "Bundespräsident für alle Österreicher" sein zu können.

Anders als Fischer musste Van der Bellen mehrere Regierungskrisen bewältigen und bis 2019 nie angewendete Bestimmungen der Verfassung anwenden, weshalb ihm in diesem Punkt 69 Prozent mehr oder weniger stark vertrauen – bei Fischer, in dessen Amtszeit verfassungsrechtliche Besonderheiten nur Theorie blieben, waren es nur 38 Prozent. Van der Bellen wird auch eher als seinerzeit Fischer zugetraut, überparteilich zu sein.

Gegenkandidaten erwünscht

Apropos Parteien: DER STANDARD ließ auch erheben, welche Haltung die Wahlberechtigten von den Parteien erwarten. Von den Parlamentsparteien hat ja nur die FPÖ eine Gegenkandidatur angekündigt (wofür es von 28 Prozent aller Wahlberechtigten Zustimmung gibt). Zur Erinnerung: Die FPÖ hat bei der Wiederkandidatur von Thomas Klestil 1998 diesen unterstützt (was ihr schlecht gedankt wurde), 2004 keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und 2010 Barbara Rosenkranz gegen Fischer ins Rennen geschickt. Rosenkranz kam auf 15,2 Prozent. 2016 erreichte FPÖ-Kandidat Norbert Hofer 46,2 Prozent in der (wiederholten) Stichwahl.

Market fragte, wen die FPÖ wohl gegen den Amtsinhaber in Stellung bringen sollte. Parteichef Herbert Kickl kommt bundesweit auf fünf Prozent, in der eigenen Gefolgschaft auf zwölf. Die oft genannte Abgeordnete Susanne Fürst erreicht acht Prozent (in der eigenen Partei sind es 30, bei den MFG-Anhängern 34 Prozent) und Norbert Hofer wirkt als Einziger weit über die Parteigrenzen, kommt insgesamt auf 20, in der FPÖ-Wählerschaft auf 43 Prozent.

Die Zustimmung in der jeweils eigenen Wählerschaft zur Entscheidung der Partei zu Van der Bellen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: Die FPÖ- und MFG-Gefolgschaft wünscht sich mehrheitlich eine jeweils eigene Kandidatur – in allen anderen Parteiwählerschaften überwiegt der Wunsch nach einer Unterstützung Van der Bellens. Dies gilt auch für die ÖVP-Präferenten: Von diesen folgt nur jeder Fünfte der Parteilinie, keine Empfehlung abzugeben. Jeder dritte ÖVP-Anhänger sähe gerne einen Parteikandidaten oder eine Parteikandidatin auf dem Stimmzettel.

Für eine Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl sind 6000 Unterstützungserklärungen notwendig – diese könnten auch abseits von Parteistrukturen organisiert werden. 15 Prozent der Befragten sagten diese Woche, dass sie zu so einer Unterstützung unbedingt bereit wären.

Noch keine Wahlprognose

Und was wird schließlich herauskommen? Pfarrhofer hält Aussagen zu möglichen Wahlergebnissen für verfrüht: "Was wir sagen können, ist: Derzeit sagen 56 Prozent, dass sie Van der Bellen wieder wählen würden und 27 Prozent würden einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin bevorzugen. Solange man aber nicht weiß, wer das überhaupt sein würde, kann man keine Prognosen abgeben – die Kandidaturen haben ja auch Einfluss auf die Mobilisierung und damit auf die gesamte Wahlbeteiligung." 2010, bei der Wiederwahl von Heinz Fischer mit zwei Gegenkandidaten, lag die Wahlbeteiligung bei nur 53 Prozent. 1998, als Thomas Klestil zum zweiten Mal (gegen vier Herausforderer) angetreten ist, war sie bei 74 Prozent.

Und was, wenn Van der Bellen wiedergewählt wird? Da lässt sich vor allem ein Wunsch aus der Umfrage herauslesen: "Bundespräsident Van der Bellen sollte die Regierung schärfer kontrollieren." Das wollen 35 Prozent unbedingt, weitere 29 Prozent stimmen teilweise zu.

Dieser Wunsch geht quer durch die Parteiwählerschaften und findet sogar unter den Anhängern der Kanzlerpartei ÖVP eine relative Mehrheit. Noch höher ist der Wunsch, dass der Bundespräsident eine Kontrollfunktion gegenüber seiner Regierung ausüben sollte, bei den Anhängern der Oppositionsparteien, der Grünen und der politisch derzeit nicht festgelegten Befragten.

Für Pfarrhofer keine Überraschung: Der Slogan "Macht braucht Kontrolle" war ja erstmals im Präsidentschaftswahlkampf 1992 auf den ÖVP-Kandidaten Thomas Klestil gemünzt worden. Und derzeit stehen die Regierungsparteien in Umfragen ohne Mehrheit da. (Conrad Seidl, 27.5.2022)