Auf dem Gletscherweg Innergschlöss in Osttirol hat man einen herrlichen Blick auf den Schlatenkees (im Hintergrund der Hohe Zaun und die Schwarze Wand) – womöglich aber nicht mehr lange.
Foto: APA/Alpenverein/N. Freudenthaler

Der Eisverlust, den wir seit einigen Jahren beobachten, sucht in der jüngeren Geschichte seinesgleichen. Weltweit 28 Billionen Tonnen Eis sollen sich laut einer Studie aus dem Vorjahr zwischen 1994 und 2017 in Wasser verwandelt haben. In den 1990er-Jahren waren es "nur" 0,8 Billionen Tonnen pro Jahr, inzwischen sind es mehr als 1,2 Billionen Tonnen.

Trotz dieser Horrorzahlen könnte ein engagierter globaler Klimaschutz noch etwas bewirken. Mit den entsprechenden Maßnahmen ließe sich sogar die weitere Erwärmung in den Alpen dämpfen. Zwar wird es auch bei Einhaltung des Pariser Klimaziels im gesamten Alpenraum bis zum Jahr 2100 um etwa 0,5 bis 1,5 Grad Celsius wärmer als im Zeitraum 1981 bis 2010. Doch die Temperatur würde auf diesem Niveau langfristig stabilisiert, zeigt die laut Forschern bisher detaillierteste Studie zur Entwicklung des Klimas in den Alpen in den nächsten Jahrzehnten – vorausgesetzt natürlich, das Klimaabkommen würde auch weiter eingehalten.

Klimavorausberechnung

Die Wissenschafter von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), von Meteo Schweiz und Meteo France haben in der nun im Fachjournal "Climate Dynamics" veröffentlichten Studie anhand regionaler Klimamodelle die Entwicklung von Temperatur, Niederschlag und Schneebedeckung bis zum Jahr 2100 berechnet – und zwar für drei unterschiedliche Szenarien der künftigen weltweiten Treibhausgasemissionen.

Sehr einheitliche Ergebnisse für den gesamten Alpenraum lieferte die Studie für die Temperatur: Bis zum Jahr 2100 muss in allen Regionen und in allen Höhenlagen der Alpen mit einer weiteren Erwärmung gerechnet werden. Deren Ausmaß hängt stark von den globalen Klimaschutzmaßnahmen ab: Wird das Pariser Klimaabkommen eingehalten, steigen zwar in den kommenden 20 bis 30 Jahren im gesamten Alpenraum zu allen Jahreszeiten die Temperaturen um 0,5 bis 1,5 Grad Celsius, doch dann stabilisieren sie sich auf diesem Niveau langfristig. Die Wissenschafter bezeichnen dies als "unvermeidlichen Klimawandel".

Die Grafiken zeigen die Entwicklung der Temperatur in der Region "Alpen Nordost", die den Großteil von Österreich enthält, aufgeschlüsselt nach Jahreszeiten (kleine Karten) und Gesamtjahr (große Karte). Die rote dicke Linie markiert die stetige Erwärmung ohne globalen Klimaschutz. Die blaue dicke Linie zeigt, dass sich die Temperatur im Alpenraum bei Einhaltung des Paris-Ziels langfristig stabilisieren kann. Die dünnen farbigen Linien sind die Ergebnisse der einzelnen Modellläufe.
Grafiken: Climate Dynamics

Worst Case: plus 2 bis 7 Grad Celsius

Macht die Menschheit weiter wie bisher und werden global keine Klimaschutzmaßnahmen gesetzt, reicht die mögliche Bandbreite der Erwärmung je nach Jahreszeit und Region von 2 bis 7 Grad Celsius. Am stärksten steigt dabei die Temperatur in allen Regionen im Sommer. Alle Höhenlagen sind in diesem Szenario von der Erwärmung betroffen, wobei ab etwa 1.000 Meter Seehöhe die Werte noch stärker steigen als in tieferen Lagen.

Mehr Unsicherheiten als bei der Temperatur zeigen die Studienergebnisse beim Niederschlag. Doch auch hier konnten die Wissenschafter einheitliche Trends für alle Regionen und alle Jahreszeiten orten – etwa jenen zu größeren täglichen Niederschlagsmengen. "Die Zahl der Tage mit leichtem Niederschlag geht zurück, dafür gibt es aber mehr Tage mit großen Regen- oder Schneemengen", erklärte Klimaforscher Andreas Gobiet von der ZAMG. Bei Einhaltung des Paris-Ziels nimmt demnach die Niederschlagsintensität bis zum Jahr 2100 um fünf Prozent zu, ohne globalen Klimaschutz um zehn bis 20 Prozent.

Trockenheit, unterbrochen von Starkregen

Jahreszeitlich betrachtet zeigt ein Großteil der Modellergebnisse eine Abnahme der Niederschlagsmenge im Sommer und eine Zunahme im Frühling, Herbst und Winter. "Das könnte für die Sommer längere trockene Phasen bedeuten, unterbrochen von kurzen, aber intensiven Regenereignissen", so Gobiet.

Die prognostizierte Zunahme der Niederschlagsmenge im Winter bedeutet keine positive Nachricht für die Skigebiete, speziell für jene in niedrigeren Lagen: Denn durch die Erwärmung wird vor allem unterhalb von etwa 1.500 Meter Seehöhe öfter Regen statt Schnee fallen bzw. der Schnee schneller wieder schmelzen. Das Ausmaß des globalen Klimaschutzes spiele auch bei der Entwicklung der Schneelage eine wichtige Rolle, betonen die Forscher.

Was Niederschläge betrifft zeigt sich eine uneinheitliche Entwicklungen je nach Jahreszeit und Szenario, aber mit einer deutlichen Tendenz zu trockeneren Sommermonaten. Die Niederschlagsmenge (int) pro Tag nimmt in allen Jahreszeiten zu – je weniger Klimaschutz, desto stärker. Eine ähnliche Entwicklung zeigt auch die durchschnittliche maximale Niederschlagsmenge pro Tag (rx1d).
Grafiken: Climate Dynamics

Schrumpfende Schneesaisonlänge

Im Rahmen der Untersuchung wurden auch zwei Fallstudien für die Regionen Mont-Blanc und Ötztal durchgeführt. Beim Ötztal konzentrierten sich die Wissenschafter speziell auf die zukünftige Veränderungen der natürlichen Schneedecke – also ohne Kunstschnee – für das Skigebiet Obergurgl. Hier zeigt sich in der Nähe der Talstation (1.920 Meter Seehöhe) an einem nordwestlich ausgerichteten Hang ein klar negativer Trend bei der mittleren Schneesaisonlänge (Anzahl der Tage mit mindestens 30 Zentimeter Schneehöhe zwischen November und April).

In allen Klimaschutz-Szenarien reduziert sich die Schneesaisonlänge bis 2050 um etwa 40 Prozent im Vergleich zum Zeitraum 1971-2000. Nach 2050 stabilisiert sich die Schneedecke, wenn das Paris-Ziel eingehalten wird, ohne Klimaschutz beträgt der Verlust am Ende des 21. Jahrhunderts mehr als 80 Prozent.

Selbst auf 2.500 Metern Seehöhe würde sich für einen nach Nordwesten ausgerichteten Hang ohne Klimaschutz die Schneesaisonlänge um rund ein Drittel reduzieren. Die Forscher betonen, dass sich die Ergebnisse der Fallstudie nur auf bestimmte Höhenlagen und Hangausrichtungen beziehen. (red, APA, 26.5.2022)