Eine Probebohrung im englischen Balcombe. Die britische Regierung will angesichts der Gaskrise die Risiken des Frackings reevaluieren.

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Die Geschichte des Frackings in Österreich ist eigentlich schnell erzählt: Rund zehn Jahre ist es her, als die OMV Probebohrungen im Weinviertel durchführen wollte, wo der Mineralölkonzern riesige Mengen an Schiefergas vermutete. Die Bevölkerung protestierte. Als eine Gesetzesnovelle auch noch Umweltverträglichkeitsprüfungen für Probebohrungen vorschrieb, blies die OMV die Sache ab – zu teuer. Das kurze Kapitel Fracking in Österreich wäre damit beendet. Eigentlich.

Doch dann kam der Krieg in der Ukraine, und ganz Europa will plötzlich weg von Putins Gas. Besonders betroffen ist Österreich, das 80 Prozent seines Gases aus Russland bezieht. Die Preise für Erdgas klettern in die Höhe – und aufwendige Fördermethoden zahlen sich wieder aus. Noch wichtiger als die Kosten ist vielen Abnehmern neuerdings aber ohnehin das Label "Not made in Russia".

Die mittlerweile zurückgetretene Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) brachte deshalb Anfang Mai eine Alternative ins Spiel: Man solle die heimische Gasproduktion erhöhen – und sich dabei auch dem Fracking nicht verschließen. Denn derzeit stammt nur ein einstelliger Prozentsatz des hierzulande verbrauchten Gases aus Österreich – und die konventionellen Gasförderstätten geben immer weniger her. Fracking soll das Problem lösen.

Unbekannte Reserven

Als die OMV ihre Frackingpläne noch verfolgte, hieß es, dass die Vorräte bei Poysdorf Österreich rund 30 Jahre mit Gas versorgen könnten. Doch wie viel Schiefergas wirklich unter dem Land lagert, ist schwer zu sagen. Die Probebohrungen fanden schließlich nie statt – und im Weinviertel ist inzwischen Gras über die Sache gewachsen.

Oder eben Wein. Johann Kleibl zeigt auf das Feld voller Reben in Poysdorf, wo die Probebohrung hätte stattfinden sollen. Er war beim Bürgerprotest vor zehn Jahren ganz vorne dabei und ist bis heute Sprecher der Initiative "Schiefes Gas". Wenn er von damals spricht, klingt immer noch Entschlossenheit aus seiner Stimme.

Johann Kleibl von der Bürgerinitiative "Schiefes Gas" vor dem Feld, wo die Probebohrung wohl hätte stattfinden sollen.
Foto: Philip Pramer

"Wir wollen in ein paar Jahrzehnten klimaneutral sein", sagt Kleibl. Wenn man jetzt mit dem Fracking anfängt, könne man die Klimaziele gleich vergessen. "Das brauchen wir stattdessen", sagt der Niederösterreicher und deutet auf den Windpark hinter dem Weinfeld. Anstatt die Milliarden autoritären Regimen in den Rachen zu werfen, müsste man erneuerbare Energie ausbauen, lokale Arbeitsplätze schaffen, uns unabhängiger machen. Aber Fracking? Darüber kann Kleibl heute wie damals nur den Kopf schütteln.

Aber natürlich geht es Kleibl nicht nur um das Weltklima. Dass bei der Frackingdebatte die Wogen hochgehen wie sonst nur bei Atomkraft, liegt an den Bildern aus den USA – brennendes Wasser aus dem Wasserhahn, verschmutzte Flüsse, verkraterte Landschaften. Kleibl hat sie auf seinem Laptop gespeichert. Den sanften Tourismus, auf den das Weinviertel so stolz ist, könnte man sich dann aufmalen, murmelt er beim Durchklicken.

Umstrittene Methode

Beim Fracking wird sogenanntes unkonventionelles Gas, das in undurchlässigem Gestein gespeichert wird, verfügbar gemacht. Dazu muss man Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in den Untergrund pressen. Das Gestein bricht dadurch auf und wird gasdurchlässig, ein Stützmittel in dem Gemisch hält die Risse offen, wodurch das Gas aufgefangen werden kann. Kritiker fürchten, dass sich die teils krebserregenden Chemikalien mit dem Grundwasser vermischen und dieses langfristig unbrauchbar machen.

Herbert Hofstätter vom Lehrstuhl für Petroleum and Geothermal Energy Recovery an der Montanuniversität Leoben kennt und versteht diese Ängste. Doch die Horrorbilder aus den USA hätten mit der Realität in Europa nichts zu tun, sagt er. Einerseits lagern die für Fracking interessanten Gesteinsschichten in Österreich viele Tausend Meter unter dem Grundwasser – ganz im Gegensatz zu Nordamerika, wo in geringerer Tiefe gefrackt wird.

Das von Hofstätter entwickelte Verfahren namens "Bio Enhanced Energy Recovery" will ohne Chemikalien auskommen und arbeitet stattdessen mit Maisstärke und Kaliumkarbonat, das auch in der Lebensmittelindustrie und als Düngemittel eingesetzt wird. "Das ist 100 Prozent umweltkompatibel", sagt Hofstätter.

Auch damals im Weinviertel hätte das Verfahren zum Einsatz kommen sollen. Doch als der damalige OMV-Austria-Chef Christoph Veit in Poysdorf vor versammeltem Saal demonstrativ Maisstärke aus einem Glas trank, war die Stimmung bereits gekippt. Anwohner wie Kleibl fürchteten auch das sogenannte Lagerstättenwasser, das mit dem Gas an die Oberfläche kommen kann. Darin können sich zwar natürlich vorkommende, aber trotzdem giftige Stoffe befinden.

Boom in den USA

Vor allem in den USA wird Fracking bereits in großem Maßstab eingesetzt, wo sie das Wiedererstarken der dortigen Ölproduktion getragen hat. In den zehn Jahren bis 2020 hat sich die Förderung des Landes auf etwa 13 Millionen Fass Rohöl pro Tag mehr als verdoppelt, erklärt Oleg Galbur, Ölanalyst bei Raiffeisen Research. "Dieser Anstieg wurde von der Schieferindustrie getragen." Es wird auch viel Erdgas aus Schiefergestein durch Fracking gefördert, der Anteil an der gesamten US-Gasproduktion lag im Jahr 2021 bei 79 Prozent.

Der größte Unterschied besteht im Lebenszyklus, sagt Galbur. Die Entwicklungsperiode für ein konventionelles Ölfeld liegt ihm zufolge bei rund zehn Jahren, dann könne 20 bis 40 Jahre gefördert werden. Bei Fracking geht alles schneller: die Exploration, die Zeit zum Hochfahren der Förderung aus einem Bohrloch, aber auch dessen Versiegen. Schon nach etwa einem Jahr beginnt die Fördermenge langsam abzunehmen, weshalb man regelmäßig neue Bohrlöcher benötigt.

Katastrophale Klimabilanz

Die machen Fracking im Übrigen besonders schädlich für das Klima. Denn werden die alten Bohrlöcher schlecht abgedichtet, was in den USA passierte, kann dadurch weiter Methan entweichen, das als Treibhausgas 30-mal schädlicher ist als CO2. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 dürfte der Frackingboom in den USA bis zu einem Drittel der jährlichen globalen Methanemissionen beigetragen haben.

Auch ohne die Einpreisung dieser Kollateralschäden für das Klima ist Fracking teurer als die konventionelle Erdgasförderung, weshalb vor allem US-Frackingunternehmen als "Swing Producer" gelten. Bei hohen Preisen über 100 US-Dollar je Fass Öl wie derzeit wird so viel wie möglich gefördert. Sinkt der Preis stark, werden die Fracking-Bohrlöcher vorübergehend stillgelegt, was das Ölangebot auch entsprechend verringert.

Galbur beziffert die durchschnittlichen Förderkosten von Schieferöl mit etwa 50 US-Dollar je Barrel – darunter lohnt sich die Produktion über Fracking nicht mehr. Steigt der Preis wieder über die Erzeugungskosten, wird die Produktion wieder hochgefahren.

Keine Pläne in Europa

Dass sich Europa mit Fracking-Öl selbst versorgen kann, glaubt Galbur nicht. Auch bei Erdgas ist er skeptisch, viele Pilotprojekte wie in Polen seien wieder eingestellt worden. Nennenswerte Erzeugung in Europa gibt es derzeit nicht. Auch weil das Schiefergestein in Europa tiefer liegt, ist die potenzielle Förderung hierzulande vermutlich deutlich teurer als in den USA, erklärt der Geophysiker Götz Bokelmann von der Uni Wien.

Fracking polarisiert.
Foto: AP/Victor R. Caivano

Bokelmann bedauert allerdings, dass die OMV 2011/12 von den Probebohrungen absah. Denn so wüsste man jetzt über die vermuteten Vorkommen im Bezirk Mistelbach besser Bescheid, hätte eine Ahnung von den Förderkosten und müsste – wenn man denn wollte – nicht wieder bei null anfangen. Bokelmann, dessen Spezialgebiet die Seismologie ist, kann immerhin ein mit Fracking assoziiertes Risiko ausschließen: dass es in den Gegenden, wo Fracking betrieben wird, auch zu signifikanten Erdbeben kommt. Die seien zwar spürbar, aber harmlos.

Bereits 2012 kam die EU-Kommission zum Schluss, dass Europa über Frackinggas nicht zum Selbstversorger werden könne – und selbst im besten Fall könne die Abhängigkeit von Importen nur auf 60 Prozent gesenkt werden. Auch in Österreich gibt es keine neuen Frackingpläne. "Das lässt sich nicht über Nacht machen", erklärte OMV-Konzernchef Alfred Stern – eben auch angesichts der Tatsache, dass es vor zehn Jahren keine Probebohrungen gab.

Zu spät für Österreich

Sollte man sich jetzt für Fracking entscheiden, könne die Förderung von Erdgas frühestens 2030 beginnen – also nur eine Dekade vor der angestrebten Klimaneutralität. Dann würden nur zehn Jahre für die Nutzung bleiben. "Das ist so ähnlich, wie wenn Sie mit 95 beschließen, sich noch ein neues Haus zu bauen", vergleicht Stern.

Wenn es politisch wirklich gewollt und morgen die Genehmigung für Fracking im Weinviertel erteilt wäre, könnte aber schon in ein bis zwei Jahren Gas fließen, sagt Hof stätter von der Uni Leoben. Dass das selbst in Zeiten der Gaskrise unrealistisch ist, weiß er selbst. Er will sein Verfahren nun im Ausland verkaufen, US-Unternehmen hätten bereits Interesse bekundet. Auch für Geothermie könnte die Technik "mit Copy-and-paste" eingesetzt werden, wie er sagt.

Man habe damals verabsäumt, die Bevölkerung im Weinviertel richtig zu informieren, denkt Hof stätter rückblickend über das gescheiterte Projekt. Was man nicht kennt, werde eben sofort verteufelt.

Auch Johann Kleibl von der Bürgerinitiative kritisiert die damalige Informationspolitik der OMV. Er denkt an die Zeit zurück, als das Thema Poysdorf gespalten hat. Die einen erhofften sich Wohlstand und Arbeitsplätze, die anderen fürchteten sich vor Umweltzerstörung und dem Wertverlust ihrer Häuser. "Da sind Leute nicht mehr gemeinsam am Wirtshaustisch gesessen, Freundschaften zerbrochen", sagt er.

An ein Comeback des Frackings im Weinviertel glaubt auch er nicht. Er ist aber überzeugt, dass die Poysdorfer im Ernstfall noch viel vereinter gegen Fracking kämpfen würden. Denn die Anwohner haben sich nun eben selbst informiert. (Philip Pramer, Alexander Hahn, Klaus Taschwer, 3.6.2022)