Russland will nichts von einem Zahlungsausfall wissen.

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Die USA haben Russland am Mittwoch näher an den Rand einer historischen Zahlungsunfähigkeit gebracht. Die US-Regierung ließ eine Ausnahmeregelung auslaufen, die es Russland bisher erlaubt hat, trotz Sanktionen wegen des Kriegs in der Ukraine Zahlungen an die US-Gläubiger seiner Staatsschulden weiter aufrechtzuerhalten.

Damit scheint nun ein Zahlungsausfall zumindest bei einigen von Russlands internationalen Anleihen im Wert von 40 Milliarden Dollar unausweichlich zu sein. Das Finanzministerium in Moskau kündigte an, Russland werde seine Auslandsschulden in Rubel bedienen, die später in die ursprüngliche Währung der Anleihen umgewandelt werden könnten. Allerdings ist vorerst offen, ob die Anleihengläubiger das akzeptieren wollen.

Die gegenwärtige Situation habe nichts mit dem Zahlungsausfall von 1998 gemein, als Russland keine Mittel gehabt habe, um seine Schulden zu bedienen, erklärte Finanzminister Anton Siluanow. Russland muss bis zum Jahresende noch Überweisungen von fast zwei Milliarden Dollar ans Ausland leisten. Klappt das nicht, würde dies Russland näher an einen Zahlungsausfall bringen – es wäre der erste seit der Russischen Revolution 1917, als die Bolschewiken Schulden aus der Zarenzeit nicht anerkannten.

Kriegsmittel: Staatsbürgerschaft

Mehr als drei Monate nach Kriegsbeginn will Russland besetzte Teile der Ukraine stärker an sich binden. Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnete am Mittwoch ein Dekret, wonach Einwohner der ukrainischen Gebiete Cherson und Saporischschja zu erleichterten Bedingungen die russische Staatsbürgerschaft erhalten können. 2019 hatte Putin bereits den Einwohnern der abtrünnigen ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk die Einbürgerung vereinfacht.

Das ukrainische Außenministerium bezeichnete die Verteilung von Pässen als "illegal" und "grobe Verletzung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit" der Ukraine. Es handele sich um einen Verstoß gegen internationales Recht. Putins Dekret sei juristisch wertlos. Zugleich forderte die Ukraine die internationale Gemeinschaft auf, rasch das sechste Sanktionspaket gegen Russland zu erlassen, um das Land in seinem Vernichtungskrieg zu stoppen. Wichtig sei hier vor allem ein Embargo gegen russisches Öl. Zudem müsse der Westen dringend schwere Waffen an die Ukraine liefern.

Selenskyj pocht auf Gespräche mit Putin

Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommt jedoch eine Abtretung von Territorium selbst im Gegenzug für ein Ende des Krieges nicht in Frage, wie er am Mittwoch deutlich machte. "Die Ukraine kämpft, bis sie ihr gesamtes Territorium zurück hat", sagte Selenskyj am Mittwoch in Davos.

Zu Gesprächen bereit sei er, falls sich Russland in die Gebiete zurückziehe, in denen es vor Kriegsbeginn im Februar war, sagte Selenskyj. "Ich kann nur mit dem Präsidenten direkt sprechen, keine Mittelspersonen, keine Vermittler", so Selenskyj. Dafür müsse Putin seine "Blase" verlassen. Derzeit verhandle Russland nicht ernsthaft. Die ukrainische Regierung befürchtet, dass Russland sich die Regionen Luhansk, Donezk und Cherson nach dem Vorbild der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleiben könnte.

Altersobergrenze für russische Militärs angehoben

Das Parlament in Moskau stimmte am Mittwoch unterdessen für ein Gesetz, dem zufolge Männer und Frauen künftig bis zu 50 Jahre alt sein dürfen, wenn sie sich vertraglich für den Dienst in der Armee verpflichten. Bisher lag die Obergrenze bei 40 Jahren. In dem Gesetz, das die Kremlpartei Geeintes Russland eingebracht hatte, heißt es zur Begründung, dass gerade für die Bedienung von Präzisionswaffen "hochprofessionelle Spezialisten" gebraucht würden, die in der Regel 40 Jahre oder älter seien.

Putin hat unterdessen die Regierung angewiesen, die Pensionen und den Mindestlohn um zehn Prozent anzuheben. In einer im Fernsehen übertragenen Rede vor dem Staatsrat erklärte der Präsident, nicht alle wirtschaftlichen Probleme hätten ihre Ursache in dem Konflikt mit der Ukraine. Er sagte voraus, dass die Inflation in diesem Jahr 15 Prozent nicht übersteigen werde. Im April lag diese allerdings schon bei knapp 18 Prozent.

Kämpfe rund um Sewerodonezk

Im Osten der Ukraine sind die russischen Truppen nach Angaben aus Kiew zur Offensive übergegangen und führen Kämpfe um die Großstadt Sewerodonezk im schwer umkämpften Gebiet Luhansk.

Auch die nahe gelegene Stadt Lyman sei Ziel der russischen Bodenoffensive, unterstützt durch Luftangriffe und Artillerie, teilte der ukrainische Generalstab am Mittwoch in seinem Lagebericht mit.

Verzug bei Sanktionen

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba rief zu einem kompletten Stop des westlichen Handels mit Russland auf. Die Sanktionen müssten auf ein nächstes Level gebracht werden. Andernfalls werde das Geld helfen, "die russische Maschinerie der Kriegsverbrechen" aufrechtzuerhalten.

Beim EU-Sondergipfel kommende Woche steht der Abschluss des sechsten Sanktionspakets gegen Russland aber deutschen Regierungskreisen zufolge nicht auf der Tagesordnung. Man hoffe aber auf einen zügigen Abschluss, hieß es am Mittwoch in einem Reuters-Bericht unter Berufung auf EU-Kreise in Deutschland. Allerdings sollen bald Vermögen russischer Oligarchen nach dem Willen der EU-Kommission einfacher beschlagnahmt werden können, wenn sie EU-Sanktionen unterlaufen. Sanktionsumgehung soll in die Liste der EU-Verbrechen aufgenommen werden. Das beschlagnahmte Geld könnte für den Wiederaufbau der Ukraine genutzt werden.

Moskau forderte angesichts der von seinem Krieg gegen die Ukraine verursachten Nahrungsmittelkrise hingegen eine Lockerung westlicher Sanktionen. Vizeaußenminister Andrej Rudenko verlangte am Mittwoch eine Aufhebung der Strafmaßnahmen, die gegen Russlands Exportbranche sowie gegen den Finanzsektor verhängt wurden. Zudem müsse die Ukraine alle Häfen entminen, forderte er. Die Ukraine sprach von "Erpressung" der Weltgemeinschaft durch die Schwarzmeerblockade. Beide Länder gehören zu den größten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit in der Welt. (red, APA, 25.5.2022)