Als die enormen Mengen heißer Vulkanasche ins Esszimmer strömten, war es für die beiden Menschen längst zu spät. Sie konnten den katastrophalen Folgen des Ausbruchs des Vesuvs nicht mehr entrinnen und dürften in kürzester Zeit gestorben sein. Langgestreckt und zusammengekauert wie im Moment ihres Todes blieben ihre Skelette vom Jahr 79 bis in die Gegenwart erhalten. Gewisse Merkmale an den Knochen deuteten bereits darauf hin, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelte. Nun war eine umfassendere Untersuchung möglich: Erstmals hat ein Forschungsteam das vollständige Genom einer in Pompeji verstorbenen Person entschlüsselt.

Die beiden Verstorbenen, deren DNA untersucht wurde, fand man in der "Casa del Fabbro", im "Haus des Schmieds".
Foto: Notizie degli Scavi di Antichità, 1934, p. 286, fig. 10.

Die DNA der Frau war hierfür letztendlich nicht geeignet: Es gab zu viele Lücken, die vollständige Sequenzierung war nicht möglich. Über sie lässt sich nur anhand der Knochen schließen, dass sie über 50 Jahre alt war und mit 1,53 Metern Körperhöhe durchschnittlich groß. Auch der Mann fällt mit 1,64 Metern in den Durchschnittsbereich, er wurde 35 bis 40 Jahre alt. Seine Genomanalyse konnte komplett durchgeführt werden – und lieferte etwa Hinweise auf seine Verwandtschaft. Das Team um den Humanbiologen Gabriele Scorrano von der Universität Kopenhagen veröffentlichte die Studienergebnisse im Fachjournal "Scientific Reports".

Geschützte DNA

Bis zur neuen Untersuchung haben Fachleute bei den Toten von Pompeji lediglich kurze Abschnitte aus dem Erbgut sequenziert – nicht nur von Menschen, sondern auch von Tieren. Dabei handelte es sich um Erbmaterial, das nicht zu den Chromosomen in den Zellkernen der Lebewesen gehörte, sondern aus den Mitochondrien stammt. Mit dieser mitochondrialen DNA lassen sich beispielsweise mütterliche Verwandtschaftslinien verfolgen, weil diese Zellbestandteile üblicherweise nur über Mütter vererbt werden.

Bei den hier abgebildeten Personen handelt es sich zwar nicht um jene, deren genetisches Material in der Studie analysiert wurde, aber die Wandmalerei dürfte zu den bekanntesten Bildern aus Pompeji gehören. Zu sehen sind zwei Angehörige der Mittelschicht: der Besitzer einer Bäckerei, Terentius Neo, und wahrscheinlich seine Gattin. Wie bei der Genomanalyse ist bei diesem Paar mehr über den Mann bekannt als über die Frau.
Foto: imago / Fabian von Poser

Nun konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass auch chromosomale DNA der Opfer von Pompeji untersucht werden kann. Dass dies möglich ist, dürfte daran liegen, dass Asche und anderes Material die menschlichen Überreste vor natürlichem Abbau schützte, vermutet das Team: Weniger Luftsauerstoff als sonst kam an die Leichen heran, so könnte die DNA besser geschützt worden sein. Proben entnahm die Forschungsgruppe einem im Inneren des Schädels liegenden Knochen, dem Felsenbein.

Diversität in Italien

Sie konnte die vollständige DNA des Mannes mit dem Erbgut von mehr als Tausend Menschen aus historischen bis prähistorischen Epochen sowie fast 500 Proben von heutzutage lebenden Menschen aus dem Westen Eurasiens vergleichen. Am engsten war der Bürger Pompejis mit jenen verwandt, die zur römischen Kaiserzeit und heute in (Mittel-)Italien lebten und leben.

Etwas ungewöhnlicher waren die Hinweise, die die mitochondriale und die in männlicher Linie vererbte Y-Chromosom-DNA lieferten. Hier fanden sich nämlich Gengruppen, die vor allem bei der Bevölkerung der Insel Sardinien vorkommen. Menschen, die zur Kaiserzeit das heutige Italien bewohnten und in der Analyse berücksichtigt wurden, besaßen diese Gengruppen jedoch nicht.

"Trotz der engen Verbindungen zwischen Rom und anderen mediterranen Bevölkerungsgruppen bestand damals eine auffällige genetische Homogenität auf der italienischen Halbinsel", heißt es in der Studie. Wie der Mann mit sardischer Verwandtschaft zeigt, gab es allerdings auch eine gewisse Diversität. Die männliche Abstammungslinie des Mannes könnte in der Steinzeit aus der anatolischen Region nach Italien gekommen sein.

Spuren der Krankheit

Der Verstorbene dürfte zu Lebenszeiten an Schmerzen im unteren Rückenbereich gelitten haben: Der vorletzte Wirbel der Lendenwirbelsäule ist von Läsionen zerfressen, hinter denen wohl Tuberkulosebakterien steckten.
Foto: Scorrano et al., Scientific Reports 2022

Aber nicht nur die Genetik, sondern auch Merkmale der Knochen wurden in der Arbeit genauer betrachtet und miteinander kombiniert, um ein Porträt des Verstorbenen zu skizzieren. Dabei fand das Forschungsteam heraus, dass der Mann nicht nur einen lädierten Wirbel hatte, sondern auch Erbgutsequenzen, die bei Mykobakterien vorkommen. Diese Einzellergruppe kann beispielsweise die Krankheiten Lepra und Tuberkulose hervorrufen.

Passend zu den Spuren am Wirbelknochen nimmt das Team an, dass der im Liegen verstorbene Mann an Tuberkulose erkrankt war: Die Bakterien können Bandscheiben und Wirbel befallen und dort für Rückenschmerzen sorgen. Bevor die Infektionskrankheit für ihn hätte tödlich enden können, kam der Ausbruch des Vesuvs. (Julia Sica, 26.5.2022)