Personen, die dem Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad sehr nahe stehen, sollen beim Schmuggel von Captagon eine zentrale Rolle spielen.

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Damaskus/Regensburg/Beirut – Das Drogenversteck zeugte von Kreativität und einigem Aufwand. Kleine runde Tabletten, als "Captagon" gekennzeichnet, lagen sauber in Plastik verschweißt zwischen Säcken mit Marmorsplitt. Rund 250 Kilogramm wog die verbotene Ware, sie versprach libanesischen Hintermännern fetten Gewinn. Die Drogen stammten aus dem Nahen Osten und sollten nach Saudi-Arabien gehen. Gefunden aber wurden sie bei einer Razzia vor einem Jahr in einer abgelegenen Lagerhalle südlich von Regensburg.

Massive Zunahme von Captagon-Produktion

Am Freitag beginnt vor dem dortigen Landgericht ein Prozess gegen zwei Syrer, die in den Drogenschmuggel eingebunden gewesen sein sollen. Gehandelt haben sie nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft im Auftrag einer libanesischen Organisation. Durch das Verfahren fällt der Blick auch auf eine größere Entwicklung, die Ermittler beobachten: Die Produktion von Captagon nimmt seit einigen Jahren massiv zu. Obwohl vor allem für die Golfstaaten bestimmt, läuft der Schmuggel immer öfter über Europa. Dahinter stecken Netzwerke im Libanon und in Syrien mit allerbesten Kontakten in höchste Kreise.

Experten haben keinen Zweifel, dass dabei vor allem Gefolgsleute des syrischen Machthabers Bashar al-Assad eine zentrale Rolle spielen. "Verwickelt sind Personen, die dem Regime sehr nahe stehen", sagt Jihad Yasigi, Chefredakteur des "Syria Report". Schon seit den 2000-er Jahren wird Captagon in Syrien hergestellt, zunächst in kleinerem Stil. Doch mit dem Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 brach die Wirtschaft zusammen. Warlords und bewaffnete Gruppen gewannen an Einfluss, die in dem Chaos des Konflikts nach Einnahmequellen suchten und sie in der Drogenproduktion fanden.

Regierungsmitglieder als Hauptakteure

Mit militärischen Gewinnen der Regierung übernahmen mehr und mehr Assad-treue Personen dieses illegale, aber lukrative Geschäft. Mitglieder der Regierung seien mittlerweile "Hauptakteure des Captagon-Handels", schlussfolgern die Autoren einer Studie des in Washington ansässigen New Lines Institute. Recherchen der "New York Times" ergaben, dass ein Großteil der Produktion und des Vertriebs von der 4. Division überwacht wird – einer berüchtigten Eliteeinheit unter dem Kommando von Mahir al-Assad, Bruder des Präsidenten.

Auch deutschen Ermittlern liegen Erkenntnisse vor, dass in Syrien heute die weltweit größte Captagon-Produktion zu finden sein dürfte. Wobei der Name irreführend ist. Captagon kam ursprünglich in den 1960-er Jahren als Medikament auf den deutschen Markt, wird aber nicht mehr legal produziert. Was heute unter dem Namen Captagon geschmuggelt wird, enthält normalerweise nicht den Originalwirkstoff Fenetyllin, sondern Amphetamin, so auch die Pillen in Regensburg.

Amphetamin anstelle von Fenetyllin

Die Herstellung ist vergleichsweise einfach. Die Produktionskosten für eine Tablette liegen im 10-Cent-Bereich. Verkauft werden kann sie – je nach Qualität und Absatzmarkt – für bis zu 25 US-Dollar (23,46 Euro). Es geht also um ein Milliardengeschäft, das für Assads Gefolgsleute nicht zuletzt deswegen interessant ist, weil das Land internationalen Sanktionen unterliegt und die isolierte Wirtschaft brach liegt.

Es trägt maßgeblich dazu bei, das Überleben der Mächtigen zu sichern. Seit 2018 seien Drogen "eine wichtige finanzielle Lebensader für das Assad-Regime und seine internationalen Verbündeten geworden", heißt es in einer Studie des von der EU geförderten Center for Operational Analysis and Research (COAR) über den "Narco-Staat" Syrien. Die Verfasser schätzen, dass das Land 2020 Captagon im Wert von fast 3,5 Milliarden Dollar (3,3 Milliarden Euro) exportierte. "Sie brauchen die Drogen, weil sie das Geld brauchen", sagt Mit-Autor Ian Larson.

Hisbollah hilft beim Schmuggeln

Das Geschäft ist so lukrativ, dass die Produktion weiter ausgebaut wird. Genutzt würden immer größere Produktionsstätten, die sich in Regierungsgebieten unter anderem in der Nähe von Häfen und entlang der Grenze zum Libanon konzentrierten, heißt es in der Studie des New Lines Institute. Beteiligt am Schmuggel sind demnach auch Anführer der schiitischen Hisbollah aus dem Libanon. Deren Miliz kämpft im syrischen Bürgerkrieg an der Seite der Regierungstruppen.

Generell läuft ein Teil des Schmuggels über das Nachbarland, wo es ebenfalls Produktionsstätten gibt, wenn auch kleinere. Allein im vergangenen Jahr fanden libanesische Ermittler mehr als 42 Millionen Captagon-Pillen – ein starker Zuwachs im Vergleich zu Vorjahren.

Transport über Europa nimmt zu

Die Zollbehörden am Golf werfen mittlerweile ein genaueres Auge auf Exporte aus dem Libanon und Syrien. Der Schmuggel verläuft deswegen immer häufiger über Europa, um die Transportrouten zu verschleiern. Vor allem in den vergangenen zwei bis drei Jahren sei dies verstärkt zu beobachten gewesen, heißt es aus deutschen Sicherheitskreisen.

Die Spuren führen nicht nur im Regensburger Fall immer wieder auch nach Deutschland. Ermittler aus Recklinghausen in Nordrhein-Westfallen ließen im vergangenen Jahr mehrere Personen verhaften. Sie sollen aus Deutschland den Schmuggel von Amphetamintabletten über den rumänischen Hafen von Constanza organisiert haben. Die Verdächtigen seien Teil einer Tätergruppe, "die syrischen Regierungskreisen nahesteht". Produktionsort: Syrien. 2018 entdeckte der Zoll im Hamburger Hafen etwa 175 Kilogramm Amphetaminpillen. Die Sendung sei von Syrien aus verschifft worden.

In Möbeln und Orangen versteckt

Verborgen waren die Drogen in Möbeln. Überhaupt seien die Schmuggler beim Transport der verbotenen Ware sehr findig, sagt ein deutscher Ermittler. "Man gibt sich aufseiten der Täter sehr viel Mühe dabei, die Pillen zu verstecken. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt." Im Libanon stießen Fahnder im Dezember auf Captagon-Tabletten, die in ausgehöhlte Orangen gequetscht waren. Für den Transport der in Regensburg gefundenen Tabletten soll ein Angeklagter über Wochen nach Tarnware gesucht haben. Inklusive Testlieferung ohne Drogen. (APA, 26.5.2022)