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Wenn es um die Klimakrise geht, dann wird in erster Linie über fossile Energie gesprochen. Mit gutem Grund. Aber auch unsere Ernährung und die Landwirtschaft sorgen dafür, dass sich die Erde erhitzt, es immer weniger Vögel und Insekten gibt und viele Tiere unter Bedingungen gehalten werden, die an Tierquälerei grenzen. Zehn Fakten und Ideen, um gleich mehrere Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen.

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Wenn wir die Klimakrise und das Sterben der Arten stoppen wollen, müssen wir in Österreich heiße Eisen anfassen.
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1. Beginnen wir mit dem unlustigen Teil. Obwohl, um ehrlich zu sein, recht viel lustiger wird es nicht. Hätte man 2020 überall auf der Welt sofort mit dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas aufgehört, würde die jetzige Ernährung auf der Welt ganz allein dafür sorgen, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht wird. Die globale Landwirtschaft braucht enorm viel Fläche, weil auf zwei Dritteln davon Tierfutter angebaut wird oder Rinder dort grasen. Dafür wurden und werden Wälder gerodet, was enorm viel CO2 in die Atmosphäre bringt. Rinder, Schafe und Ziegen emittieren Treibhausgase, genau wie der energieintensive Dünger, das zu starke Beackern der Böden, der Transport der Lebensmittel und so weiter.

2. Fossile Energie ist der Haupttreiber des Klimawandels, aber ohne die Landwirtschaft sind die Klimaziele illusionär. Jetzt könnte man sagen, okay, die 1,5 Grad waren immer ziemlich illusionär, aber auch die zwei Grad könnten allein wegen unserer Ernährung wanken. Das haben Wissenschafter ausgerechnet. Damit wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent unter zwei Grad Erwärmung bleiben, bleiben der Welt ab 2020 etwa 1.400 Milliarden Tonnen CO2. Rechnet man die jetzigen Ernährungsgewohnheiten bis 2100 hoch, fressen allein sie im wahrsten Sinne des Wortes das ganze Treibhausgasbudget auf.

3. Was können wir also tun? Es braucht eine Kombination aus fünf Strategien, zeigt eine Studie. Erstens: viel weniger tierische Produkte oder eine mediterrane Kost mit viel Fisch und Gemüse. Zweitens: allgemein die Kalorienzufuhr reduzieren, viele Menschen auf der Erde nehmen zu viele Kalorien zu sich. Drittens: höhere Erträge auf den Äckern, damit wir weniger Land verbrauchen, durch gezieltes Düngen in ärmeren Ländern, Gentechnik und fortgeschrittene Technik. Viertens: um 50 Prozent weniger wegschmeißen, und fünftens: die Effizienz der Betriebe erhöhen durch Präzisionslandwirtschaft, die Dünger gezielt einsetzt, und das Füttern von Rindern mit Algen, damit ihre Mägen weniger Methan produzieren.

4. Wie kommen wir da hin? Ernährungsgewohnheiten beginnen früh, wer schon älter ist, ist schwer zu erreichen. Darum fordert der deutsche Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik und Ernährung, dass der deutsche Staat in etwa fünf Milliarden Euro in kostenlose, gesunde und vielfältige Verpflegung in Schulen und Kindergärten in ganz Deutschland investiert. Das könnte man finanzieren, indem man auf tierische Produkte die reduzierte Mehrwertsteuer von sieben Prozent auf den normalen Satz mit 19 Prozent anhebt.

Auch in Österreich gilt auf tierische Lebensmittel ein reduzierter Steuersatz, und das obwohl sich alle Wissenschafter einig sind, dass Klimakrise und Artensterben nur lösbar sind, wenn weniger tierische Produkte konsumiert werden. Das ist ein bisschen wie beim Diesel: Auch hier sorgt das Dieselprivileg dafür, dass der Treibstoff weniger besteuert wird, obwohl das genau die falschen Anreize setzt.

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5. Es braucht bessere Information. Darum schlägt der Wissenschaftliche Beirat vor, dass es ein staatliches Klimalabel für Lebensmittel geben soll. Es soll zuerst national eingeführt und dann EU-weit weiterentwickelt werden. Man soll auf einen Blick sehen, welchen Effekt das Produkt auf die Klimakrise hat. Auch "Nutri-Scores" sollten verpflichtend in der Bewerbung von Lebensmitteln angegeben werden müssen – sie zeigen, wie gesund ein Produkt ist. Und ein staatliches Tierschutzlabel soll den Konsumenten zeigen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden, die man verspeist.

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In Deutschland haben sich große Handelsketten wie Aldi, Edeka, Lidl, Rewe und Penny bereits freiwillig auf so eine Kennzeichnung geeinigt. Der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen möchte das jetzt, wie vom Beirat gefordert, auf eine staatliche Ebene heben. Tierwohl geht mit Klimaschutz einher: Bessere Haltungsbedingungen führen zu höheren Preisen und damit zu weniger Konsum tierischer Produkte. Österreich ist bei Hühnern Vorreiter und hat 2020 die schon kaum mehr vorhandene Käfighaltung komplett verboten. Im Nachbarland ist das Tempo aber höher. Seit letztem Jahr ist die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung verboten. In Österreich ist diese leidige Praxis nach wie vor erlaubt.

6. Eine gezielte politische Strategie ist vonnöten. In Deutschland hat Julia Klöckner (CDU) die Borchert-Kommission einberufen, deren Papiere Inspiration für die Kennzeichnung, die der Handel einführte, waren. Die Kommission schlug drei Haltungsstufen vor: In Stufe eins gibt es mehr Platz und Beschäftigungsmaterialien, in Stufe zwei ist vorgesehen, dass Ställe weiter verbessert werden mit noch mehr Platz, Strukturen, Klimazonen und möglichst Kontakt zum Außenklima, in Stufe drei gibt es verpflichtend Auslauf. Als Ziel wird vorgeschlagen, dass die ganze deutsche Nutztierhaltung bis 2030 auf Stufe eins kommt und bis 2040 auf Stufe zwei.

Wie soll das gehen, wenn der Konsument zum Billigsten greift und die Betriebe in einem scharfen ökonomischen Wettbewerb sind? Solange das Ganze nicht EU-weit eingeführt wird, braucht es Förderungen. 80 bis 90 Prozent der Mehrkosten müsse der Staat zahlen, schlägt die Kommission vor. Das kostet über die Zeit ein bis drei Milliarden Euro im Jahr. Das Geld soll wiederum über eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte eingehoben werden. So könnte man einen Kilo Fleisch mit 40 Cent besteuern, einen Kilo Milch und Eier mit zwei Cent und 15 Cent pro Kilo Käse, Butter und Milchpulver. Das bringt 3,6 Milliarden Euro im Jahr.

7. Fassen wir weitere heiße Eisen an! Für die einen ist das Schnitzel die sprichwörtlich heilige Kuh, die in der politischen Debatte kaum jemand anzufassen wagt. Das muss sich ändern – es gibt kein Anrecht auf ein billiges Schnitzel, genauso wenig wie auf billige fossile Energie. Beide stehen für Systeme, die uns ökologisch an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Wenn die Preise steigen, muss der Staat gleichzeitig Klimaboni an ärmere Haushalte auszahlen, um das abzufedern. Das ist in Österreich bereits gut erprobt und funktioniert.

Aber auch andere heiße Eisen müssen angefasst werden. Bio ist fürs Klima nicht besser, weil dafür viel mehr Land gebraucht wird. Pestizide beziehungsweise Pflanzenschutzmittel, gezielt eingesetzt, verringern Verluste und tragen so zu Nachhaltigkeit bei, schreiben die Wissenschafter des Beirats. Und Gentechnik ist gesundheitlich unbedenklich und führt dazu, dass man weniger Spritzmittel braucht und auch weniger Fläche für den gleichen Output benötigt wird.

8. Wie viel kann man als einzelnes Land machen? Die Empfehlungen der Kommission beruhen auf einer wichtigen Überlegung: Wenn Politik zum Ergebnis hat, dass Fleisch, Milch und Käse einfach aus Nachbarländern importiert werden, verfehlt sie ihr Ziel. Dann lebt die Kuh nicht mehr unter schlechten Haltungsbedingungen in Deutschland, sondern eben in Polen. Davon hat die Kuh nichts, und davon hat auch Deutschland nichts. Das ist auch in Österreich zu bedenken, denn ein Kilo Rindfleisch aus Österreich verursacht 14 Kilo CO2-Äquivalent, im EU-Schnitt sind es 22 Kilo. In Österreich fressen sie mehr Gras, und es wird weniger Futter aus Südamerika importiert, für das dort dann Wälder gerodet werden.

9. Noch ein Funfact gefällig? Der Ukraine-Krieg ist ja nicht nur ein Desaster für die Leute vor Ort, indirekt sind auch Menschen etwa in Afrika betroffen, wo die Lebensmittelpreise steigen, weil die Ukraine ein wichtiger Getreideexporteur ist. Darum wurden die Vorgaben, wie viel Fläche Bauern für die Umwelt freihalten müssen, gelockert. Es ginge aber auch anders: Forscher haben ausgerechnet, dass, würde man in der EU nur ein Drittel weniger Getreide an Tiere verfüttern, könnte das die ukrainischen Exportausfälle ganz kompensieren. Ein Drittel der globalen Kalorien und 70 Prozent der Agrarfläche gehen nicht für Essen für Menschen, sondern für Tiere drauf (hier die Studie).

10. Wir sind alle gefordert! Wie soll man ernsthaft von der Politik ambitionierte Pläne einfordern, wenn man sich nicht selbst bei der Nase nimmt? Der Journalist Bernd Ulrich hat das kürzlich so ausgedrückt: Jeder Autokauf und jedes Schnitzel seien eine Volksabstimmung. Die bedeutende Rolle des Konsums zeigt auch eine Studie des World Resources Institute für Dänemark. Der Markt für Lebensmittel ist global, und wenn Dänemark weniger produziert, wird das Schweinefleisch eben von anderswo importiert. Darum muss der Fokus national darauf liegen, nicht weniger zu produzieren, sondern vor allem weniger zu konsumieren.

Im nächsten Beitrag der Serie geht es darum, ob die intensive Landwirtschaft wirklich so ein Problem ist, wie es immer wieder heißt. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 29.5.2022)