Woher kommt in nächster Zeit das Getreide, um Millionen von Menschen zu ernähren? Immer deutlicher treten die katastrophalen Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, einen der wichtigsten Getreideproduzenten der Welt, zutage. Irische Bauern erhalten von der Regierung in Dublin zusätzliche Subventionen, wenn sie zusätzlich Weizen, Rüben oder Bohnen anbauen. Dadurch werde sein Land "erheblich mehr Getreide" anbauen können, hofft Agrarminister Charlie McConalogue.

Hunger – das Wort löst auf der Grünen Insel besonders starke Emotionen aus. Die Erinnerung an die "große Hungersnot" Mitte des 19. Jahrhunderts wurzelt tief im Bewusstsein der Bevölkerung, alljährlich richtet die Regierung einen Tag zur Erinnerung an die "great famine" aus. Diese wurde im Jahre 1845 ausgelöst durch einen Schädlingsbefall des damaligen Hauptnahrungsmittels Kartoffel und in den Folgejahren verschlimmert durch die herrschende Monokultur sowie die Vernachlässigung der örtlichen Bevölkerung durch die überwiegend englischen Grundbesitzer.

Irland macht einige Millionen locker, um seine Landwirte davon zu überzeugen, dass sie Getreide statt anderer Feldfrüchte anbauen.
Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

Mehr als eine Million Menschen kamen ums Leben, weitere gut zwei Millionen mussten emigrieren. In manchen Städten, vor allem im Westen und Süden des Landes, ging die Bevölkerungszahl um zwei Drittel zurück. Erst Ende des vergangenen Jahrhunderts lebten wieder so viele Menschen auf der Grünen Insel wie vor dieser dramatischen Hungerperiode.

Freiwilligkeit statt Pflicht

Allerdings weckt McConalogues Initiative bei den Betroffenen auch unerfreuliche Erinnerungen. Dabei geht es um ein Regierungsdekret der gerade erst halbwegs unabhängig gewordenen Insel im Zweiten Weltkrieg, in dem Irland neutral und von britischen Importen abgeschnitten blieb. Damals musste Dublin notgedrungen die Bauern zur Getreideproduktion verpflichten; diesmal beruht das Programm völlig auf Freiwilligkeit.

Ergebnisse gibt es bisher kaum. Das liegt vor allem daran, dass die Saatperiode – abgesehen von Frühjahrsgerste – längst vorbei war, als die Regierung Ende März zu mehr Getreideproduktion aufrief. Hinzu kommt die bisherige Ausrichtung der Landwirtschaft auf der Grünen Insel. Deren Kernkompetenz besteht vor allem in der Rinder- und Schafzucht sowie der Milchwirtschaft. Lediglich 7,5 Prozent der bestehenden landwirtschaftlichen Nutzflächen sind bisher der Produktion von Mais, Hafer und Weizen gewidmet, nicht viel mehr als 300.000 Hektar.

McConalogue gibt sich bescheiden: Als Ziel des zwölf Millionen Euro teuren Programms hat sich die große Koalition einstweilen eine Erweiterung der Getreideflächen um rund 25.000 Hektar vorgenommen.

Angesichts der Skepsis der Betroffenen handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine kluge Selbstbeschränkung. 300 bis 400 Euro pro Hektar Anbaufläche, das sei "nicht attraktiv für Leute, die bisher kein Getreide anbauen", mault Pat McCormack von der Vereinigung der Milchproduzenten.

Mangel an Flächen

Andere Bauern weisen auf den Mangel an geeigneten Flächen hin, auf fehlende Getreidemühlen sowie die massiv, teils um das Dreifache gestiegenen Preise für Kunstdünger. "Die Kosten und die Verfügbarkeit" von Saatgut, Diesel und Benzin sowie Dünger stellten das eigentliche Problem dar, hat Tim Cullinan vom Bauernverband der Financial Times anvertraut.

Rinder- und Schafzucht, das ist derzeit eine der Kernkompetenzen der irischen Landwirtschaft.
Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

Selbst wenn nun der Ackerbau größere Bedeutung erhält und von diesem Herbst, womöglich allerdings erst vom kommenden Jahr an, die Mengen ansteigen, wird Irland bis auf weiteres wenig zur Ernährung der Weltbevölkerung beitragen können.

Nettoimporteur

Denn bisher ist die Grüne Insel ein Nettoimporteur: Zwei Drittel des für Menschen und Tiere benötigten Getreides kommen von Übersee. Gerste, Hafer und Weizen liefert vor allem die britische Nachbarinsel, immerhin ein Drittel des Maisbedarfs deckte bisher die Ukraine.

Ein bisschen weniger Abhängigkeit von Importen wäre also schon ein großer Schritt – und es würde immerhin den weithin angespannten Weltmarkt entlassen. Das zugunsten von Staaten wie zum Beispiel Ägypten, die ihren immensen Bedarf ganz gewiss nicht im eigenen Land produzieren können. (Sebastian Borger aus London, 27.5.2022)