Orpheus soll durch seine Gesänge das wütende Meer und die Feinde bezwungen haben. Sein Name – auf Neugriechisch Orfeas – soll das Flüssiggasterminal zieren, das dafür sorgen soll, dass sich Südosteuropa unabhängiger vom russischen Gas macht. Das 300 Meter lange Schiff soll ab Herbst 2023 etwa zwanzig Kilometer vor der Küste vor Alexandroupolis verankert werden. Es handelt sich um zwei Anlagen mit schwimmenden Speicher- und Wiederverdampfungseinheiten.

Geopolitisches Bedeutung

Beim Start der Bauarbeiten Anfang Mai kamen der serbische Präsident Aleksandar Vučić, der bulgarische Premier Kiril Petkow und der mazedonische Premier Dimitar Kovačevski nach Alexandroupolis. Das Projekt ist von hoher geopolitischer Bedeutung, vor allem wenn die Gasleitungen ausgebaut werden, die künftig Gas aus Katar, den USA oder Algerien über Orfeas nach Bulgarien, Rumänien, Nordmazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina liefern. Einige dieser Staaten sind nämlich politisch sehr anfällig für den Einfluss aus dem Kreml.

Vor einem Monat drehte die Gazprom Bulgarien das Gas ab, weil Sofia eine klare Haltung zum Krieg gegen die Ukraine einnimmt. Premier Petkow bezeichnete deshalb Orfeas als einen "Beweis unserer Kraft und Einheit", der die europäische Energielandkarte verändere.

Orfeas ist vor allem die Alternative zur Gasleitung Turkstream, die durch das Schwarze Meer verläuft und die gesamte Region mit russischem Gas beliefert. Noch heuer soll die Gasleitung zwischen Alexandroupolis und Bulgarien fertiggestellt werden, dann muss Sofia auch keine Lieferengpässe mehr fürchten. Die EU unterstützt das Terminal mit 166,7 Millionen Euro.

Ausreichend nichtrussisches Gas

An der Infrastruktur beteiligt sich auch die bulgarische – mit 20 Prozent – und die mazedonische Regierung. Die Gasexpertin der Energiegemeinschaft in Wien, Karolina Čegir, meint zum STANDARD, dass bereits drei Milliarden Kubikmeter gebucht seien, 2,5 Milliarden seien noch zu vergeben. Für Rumänien – das selbst über eine reiche Gasproduktion verfügt –, Bulgarien und Griechenland sei durch das Terminal dann ausreichend nichtrussisches Gas gesichert. Insbesondere für Serbien, das eng an Russland gebunden ist und die Sanktionen nicht mitträgt, könnte das Terminal eine Kehrtwende in der Politik einleiten. Bisher hat Serbien – aus politischen Gründen – nämlich nicht das lange geplante Gasleitungsverbindungsstück mit Bulgarien gebaut. Wenn dies nun geschieht, könnten auch Serbien und Bosnien-Herzegowina über das Orfeas-Terminal versorgt werden und sich vom Einfluss des Kreml freier machen.

Hoffnung für Republik Moldau

Von größter Bedeutung ist das Terminal für die Republik Moldau, die ist derzeit vollständig von der Gazprom abhängig, auch bei der Stromproduktion und beim Heizen. Über Orfeas könnte aber künftig auch nichtrussisches Gas über die alte Transbalkan-Pipeline nach Moldau gelangen, und von dort weiter in die Ukraine – was die Erpressungsmöglichkeiten des Kreml weiter einschränken würde. (Adelheid Wölfl, 27.5.2022)