Provokationen können laut dem Obersten Gerichtshof eine Mitschuld begründen.

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Wer jemand anderen schuldhaft verletzt, dem drohen nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern auch zivilrechtliche Ansprüche. Fällig werden Behandlungskosten, Verdienstentgang und Schmerzensgeld. Aber gilt das auch, wenn der Angegriffene den Angreifer zuvor provozierte? Ist er für seine Körperverletzung dann – zumindest teilweise – selbst schuld? Wie ein aktueller Fall aus dem Burgenland zeigt, ist diese Frage nicht immer leicht zu beantworten (OGH 20.4.2022, 1 Ob 47/22a).

Ein Mann hatte an einem Sonntagvormittag seinen Ferrari gestartet und den Motor im Stand laufen gelassen. Sein Nachbar fühlte sich durch den Lärm derart gestört, dass er zum Haus lief und heftig läutete. Als die Tochter des Ferrari-Besitzers die Tür einen Spalt weit öffnete, drückte der Nachbar sie auf, lief in die Garage und beschwerte sich dort über den Lärm. Der Hausherr reagierte entnervt. Er bedrohte den Eindringling und verletzte ihn mit zwei Stößen gegen die Wand.

Unerlaubt auf Grundstück

Der Verletzte verlangte daraufhin 10.600 Euro an Schmerzensgeld und Pflegekosten. Zahlen wollte der Ferrari-Besitzer allerdings nicht. Er wandte vor Gericht ein, dass sein Nachbarn Mitschuld an seinen Verletzungen trage. Schließlich sei er es gewesen, der unerlaubt sein Grundstück betreten und aggressiv auf ihn zugegangen sei. Er habe sich durch das Verhalten seines Nachbarn bedroht gefühlt und versucht, ihn von sich fernzuhalten.

Vor dem Landesgericht Eisenstadt bekam der Burgenländer mit dieser Argumentation recht – zumindest teilweise. Das Gericht entschied zwar, dass er den größeren Teil des Schadens bezahlen müsse, gleichzeitig bejahte es aber eine Mitschuld des Verletzten um ein Drittel. Eine Situation, die zur Notwehr berechtigt hätte, sei nicht vorgelegen. Der Nachbar habe die Abwehrhandlung allerdings "provoziert" – durch "das Eindringen in das Haus" und "sein aufgebrachtes Verhalten".

Provokation können Mitschuld begründen

Der Oberste Gerichtshof sah das in seiner aktuellen Entscheidung nun anders. Provokationen können laut den Richterinnen demnach sehr wohl ein Mitverschulden begründen. Sie müssen dafür – juristisch formuliert – den "Verletzer in einen Gemütszustand versetzen, von welchem angenommen werden kann, dass er sich zu Tätlichkeiten wird hinreißen lassen."

Zu Deutsch: Wer davon ausgehen muss, dass sein Gegenüber zuschlägt, darf nicht unnötig provozieren. Klassische Beispiele dafür sind etwa Rangeleien oder Drohungen. Wörtliche Provokationen reichen laut dem Obersten Gerichtshof in der Regel zwar nicht aus, auch hier komme es aber auf den jeweiligen Einzelfall an.

Im aktuellen Fall treffe den Verletzten allerdings keine Mitschuld. Er habe das Grundstück zwar unerlaubterweise betreten und sei aufgebracht auf den Ferrari-Besitzer zugegangen. Er habe aber sofort klargestellt, dass er wegen des Lärms gekommen sei, und sich dabei weder besonders aggressiv noch beleidigend verhalten. Den Stoß habe er daher nicht provoziert. Für die Körperverletzung haftet daher der Ferrari-Besitzer allein. (japf, 27.5.2022)