Kämpfen in den Dolomiten nicht nur um ihre Werte, sondern auch ums Überleben: Emma Drogunova (links) und Verena Altenberger.

Foto: ORF/Luis Zeno Kuhn

Resozialisierung statt Gefängnis: Erlebnispädagogik nennt sich die Methode, die der Psychologe Lars Sellien (Franz Hartwig, Der Pass) bei jugendlichen Straftäterinnen und Kriminellen anwenden will. Acht gemeinsame Wochen in den Bergen sollen Verantwortungsbewusstsein und Teamgeist fördern. Denn "Strafe hat noch nie dazu geführt, dass Menschen sich bessern. Im Gegenteil: Sie führt zu mehr Gewalt", ist er überzeugt.

Wie gut, dass Sellien zu Beginn von Wild Republic nicht weiß, was da alles an Brutalität und Psychoterror auf ihn, die Jugendlichen und seine Freundin Rebecca zukommt. Die achtteilige Serie wurde von Magenta TV gemeinsam mit der ARD produziert und läuft derzeit auf Arte, ab 30. Mai in ORF 1, ab 3. Juni in der ARD. Verena Altenberger (Polizeiruf 110, Buhlschaft im Salzburger Jedermann) spielt seine Partnerin, die die Gruppe als Sozialpädagogin begleiten soll. Auch Rebecca glaubt fest an das Experiment und daran, dass in jedem Menschen das Gute gewinnen kann. Naiv? Vielleicht. Aber einen Versuch wert.

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Eine Frage des Vertrauens

Mit dem Bus werden die Jugendlichen in die grandiose Felslandschaft der Südtiroler Dolomiten gebracht, das gemeinsame Aufbauen des Lagers funktioniert, erste gruppendynamische Übungen sind absolviert, erste Meinungsverschiedenheiten geklärt. Das Projekt nimmt seinen berechenbaren Lauf. Bis Bergführer Baumi erschlagen in der Nähe der Zelte aufgefunden wird. An eine Aufklärung ohne Vorurteile glaubt keiner der Jugendlichen, das Vertrauen in die Justiz ist aufgrund ihrer Vergangenheit enden wollend. Sie entscheiden sich für Flucht als Ausweg, nehmen Rebecca als Geisel und ziehen hinauf ins Gebirge. Eine große Höhle, ausgestattet mit Altar, Konservendosen und sonstigen Utensilien, die später noch heißumkämpft werden, wird ihr Versteck. Über die Vorgeschichten der Jugendlichen klären die Autoren Jan Martin Scharf und Arne Nolting (Club der roten Bänder) und die Regisseure Markus Goller und Lennart Ruff in Rückblenden auf.

Tiefgang

Jede Folge stellt eine Person der Gruppe vor, darunter Kim (Emma Drogunova), die als Zwangsprostituierte viel Ungerechtigkeit erfahren hat und später der moralische Kompass der Truppe wird. Oder Öko-Aktivist Ron (Merlin Rose), der sich von seinem kapitalistischen Vater (Ulrich Tukur) losgesagt hat. Die drogenabhängige Jessica (Camille Dombrowsky) versuchte sich erfolglos als Influencerin, Boxer Can (Aaron Altaras) wiederum hat ein Respekt- und Aggressionsproblem, und dem Sadisten Justin (Béla Gabor Lenz) fehlt jegliche Empathie. Schon als Kind war er zu gar Grauslichem fähig. Anfangs wirken die Charaktere schablonenhaft, entwickeln aber im Laufe der acht Episoden immer mehr Tiefgang. Auch aufgrund überraschender Wendungen, die über manche Längen hinweghelfen.

Auf sich gestellt, entwickeln die Jugendlichen ihre eigenen – nicht immer nachvollziehbaren – Regeln für ihr Zusammenleben, suchen nach ihren Rollen. Ohne Zugriff von Erwachsenen und ohne staatlichen Einfluss. Das erinnert an William Goldings Herr der Fliegen, statt Südsee bilden hier die Berge die wirklich spektakuläre Kulisse. Auch wenn heftige Kämpfe im Inneren der Gruppe toben, zerstörerische Gefahr droht auch von außen. Es wird brutal, und nicht alle werden da heil herauskommen. Spannend. (Astrid Ebenführer, 27.5.2022)