Viktor Orbán verkündet den Notstand – es ist nicht sein erster.

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Nach dem im Vormonat errungenen vierten Wahlsieg in Folge legt der Rechtspopulist Viktor Orbán weiterhin Tempo beim Umbau seines Landes in ein illiberales Staatswesen vor. Am Mittwoch kündigte er neue Sondersteuern für "Multis" und Branchen mit "Extraprofit" an, um die in der EU niedrigsten Haushaltsgaspreise trotz Ukraine-Kriegs und Sanktionen auch künftig halten zu können. Seine fünfte Regierung – der Ungar hatte schon einmal von 1998 bis 2002 amtiert – war da vor gerade erst 24 Stunden angelobt worden.

Unmittelbar vor dem Festakt im neu gewählten Parlament winkte die unveränderte Zweidrittelmehrheit von Orbáns Fidesz-Partei eine Verfassungsänderung durch, die eine neue Kategorie des Notstands – zusätzlich zu den schon bestehenden acht Arten – definiert: den "Notstand wegen eines bewaffneten Konflikts, einer Kriegslage oder einer humanitären Katastrophe in einem Nachbarland".

Der trat dann auch gleich am Mittwoch um null Uhr, unter Berufung auf den Krieg in der benachbarten Ukraine, per Verordnung in Kraft. Er ermöglicht es dem lang gedienten Regierungschef, Gesetze durch Verordnungen außer Kraft zu setzen und Verordnungen zu erlassen, die Bürgerrechte und Freiheiten einschränken.

Immer wieder Dekrete

In der Vergangenheit hat Orbán von derartigen Notstandsbevollmächtigungen reichlich Gebrauch gemacht. Der – formal weiter in Kraft befindliche – "Massenmigrationsnotstand" von 2016 diente ihm als Vorwand, um zentrale Teile des Asylrechts auszuhebeln. Auf den nun mit Ende Mai auslaufenden Gesundheitsnotstand wegen der Corona-Pandemie gründete Orbán Verordnungen, die die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkten und oppositionell regierten Städten Einnahmen entzogen.

Am Mittwochabend kündigte er die besonderen Gewinnabgaben für Banken, Versicherungen, große Handelsketten, Energiefirmen, Telekomunternehmen und Fluggesellschaften an. "Aufgrund der steigenden Zinsen und der steigenden Preise fahren die Banken und die großen Multis Extraprofite ein", behauptete er in einem Facebook-Video. Die Sondersteuern, die für zwei Jahre anberaumt sind, sollen die angeblichen Superprofite abschöpfen. Sie werden in diesem und im nächsten Jahr abzuführen sein. Die Regierung erwartet sich dadurch Einnahmen in Höhe von 800 Milliarden Forint (2,1 Milliarden Euro). Die Einnahmen würden in neu geschaffene Fonds fließen, um die Auswirkungen der weiter steigenden Energiepreise abzufedern und den Ausbau der Streitkräfte zu finanzieren.

Budapester Blockade

Tatsächlich bekommen die ungarischen Privatverbraucher von den marktbedingten Preissteigerungen beim Gas trotz des Ukraine-Kriegs nichts mit. Der Regierungschef hat nämlich die Gaspreise für die Haushalte seit 2012 weitgehend eingefroren. Vor der Wahl 2014 war der Slogan von der "Wohnnebenkostenbremse" der Hauptschlager in Orbáns Kampagne. Bemerkenswert ist aber auch, dass Branchen wie die Bauindustrie von den Gewinnabgaben nicht betroffen sind – hier bereichern sich Oligarchen, die von Orbán abhängen, schamlos.

Die Sanktionspolitik der EU gegen das kriegführende Russland geht Orbán wiederum gehörig gegen den Strich. In den vergangenen zwölf Jahren etablierte er ein ungewöhnlich freundschaftliches Verhältnis zum Kreml-Herrn Wladimir Putin, mit regelmäßigen gegenseitigen Besuchen und der wechselseitigen Versicherung ideologischer Gemeinsamkeiten ("Illiberalismus", "Anti-Gender", "Anti-LGTBQ", "Dekadenz des Westens"). Um den Preis des Gases aus Russland herrscht Geheimniskrämerei, doch unbestritten ist, dass Moskau bis zum Ukraine-Krieg auch etlichen westlichen Ländern – darunter Österreich – als zuverlässiger Lieferant galt.

Orbán hat sich indes als der erbittertste Gegner des von der EU -Kommission geplanten Ölembargos gegen Russland erwiesen. Seine Vetodrohung blockiert den Vorschlag der EU-Kommission, der seit Monatsanfang auf dem Tisch liegt. Am kommenden Montag und Dienstag steht ein EU-Gipfel in Brüssel ins Haus. Orbáns Vetodrohung steht weiter im Raum, eine Beschlussfassung ist nur einstimmig möglich. Derzeit ist ungewiss, ob das Sanktionspaket überhaupt auf die Tagesordnung kommt. (Gregor Mayer aus Budapest, 26.5.2022)