Kurt Tutschek zeigt im Gastblog die Vorläufer der Drohnenfotografie: Brieftauben-Fotografie 

Der Apotheker Julius Neubronner war ein Mann vieler Ideen. Geboren im Jahr 1852 im hessischen Luftkurort Kronberg im Taunus, galten seine Leidenschaften vor allem den Brieftauben und der Fotografie.

Dr. Julius Neubronner
Library of Congress | Public Domain


Bereits sein Vater Wilhelm hatte die Brieftauben dazu verwendet um Rezepte rasch in die Apotheke zu transportieren. Die flugfähigen Helfer machten sich mit dem Rezept vom Arzt auf den Weg in die Apotheke und so konnte eine Medizin rasch zubereitet werden, bereits abholbereit für einen Boten, der erst später ankam um das Medikament abzuholen.
Nachdem Julius im Jahr 1886 die Apotheke seines Vaters übernommen hatte, baute er den Brieftauben-Flugverkehr noch weiter aus: er ließ Chemikalien, die zur Herstellung von Medikamenten benötigt wurden, aus dem 20 Kilometer entfernten Frankfurt am Main von den Vögeln einfliegen. Bei einem dieser Flüge ging jedoch eine der Brieftauben vorübergehend verloren. Erst nach Wochen traf sie im heimatlichen Taubenschlag ein. Wo hatte sie die vergangenen Tage verbracht? Wäre es nicht eine hervorragende Idee, die Tiere mit winzigen Kameras auszustatten, die in regelmäßigen Abständen automatisch ein Foto knipsten um so den Flug zu dokumentieren?
Diese Idee ließ Neubronner nicht mehr los, und sie mündete schließlich in einem vom Kaiserlichen Patentamt am 2. Dezember 1908 ausgestellten Patent Nr. 204721, das folgenden wohlklingenden Namen trägt: "Verfahren und Vorrichtung zum Photographieren von Geländeabschnitten aus der Vogelperspektive."

Zeichnung zur Patentschrift Nr. 204721
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Und Neubronner setzte die Idee sofort in die Tat um. Die Kamera musste leicht sein, wurde mit einem Geschirr aus Leder an der Taube befestigt, eine Brustplatte aus Aluminium vervollständigte die Ausrüstung.

Startbereit
Stadtarchiv Kronberg
Kamerageschwader
Stadtarchiv Kronberg

Julius Neubronner erwies sich auch in der Vermarktung seiner Idee als gewiefter Geschäftsmann. Während mehrerer Vorführungen konnten die Zuschauer den Flug der Tauben beobachten und die dabei entstandenen Fotos, die anschließend rasch entwickelt wurden, auch als Postkarten kaufen.

Brieftauben Ansichts Postkarte
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Und tatsächlich lieferten die Brieftauben erstaunliche Bilder. Blicke auf die Welt von oben, eine frühe Vorstufe der Drohnenfotografie.

Vogelperspektive inklusive Flügelschlag
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Über den Dächern
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Im Tiefflug
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Im Villenviertel
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Doch nur kurz währte Neubronners Ruhm. 1910 und 1911 gewann er für den innovativen Einsatz moderner Technik bei Ausstellungen in Paris die Goldmedaille, kurzfristig erkannte man Einsatzmöglichkeiten in der Spionage und der militärischen Überwachung. Da mit der Vorstellung der Brieftauben-Fotografie jedoch auch gleichzeitig die Entwicklung der Luftfahrt rasant voranschritt, verlor auch die Öffentlichkeit bald das Interesse an Neubronners Tauben. 

Flieg Vogel, flieg!
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Auch wenn der Brieftauben-Fotografie nur ein kurzes erfolgreiches Dasein beschert war (samt weiterer Versuche im 2. Weltkrieg die Tiere zu Aufklärungsflügen einzusetzen), bleibt Neubronners Idee faszinierend und bahnbrechend – und ein außergewöhnliches Puzzleteil in der Entwicklung der Luftbildfotografie. (Kurt Tutschek, 4.6.2022)

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