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2019 veredelte Graveur Marcel Ries den Champions-League-Pokal für Liverpool, 2014 sowie 2016 bis 2018 für Real Madrid.

Foto: UEFA/getty/Harold Cunningham

Champions-League-Finale im Ticker: Liverpool vs. Real, Sa. 21 Uhr

Wenn Schiedsrichter Clément Turpin am späten Samstagabend das Finale der Champions League abpfeift, wird den Spielern und tausenden Fans von Real Madrid und dem Liverpool FC im Pariser Stade De France eine gehörige Last von den Schultern fallen. Für Marcel Ries fängt die Anspannung dann erst so richtig an.

Denn der 58-jährige Schweizer graviert den Namen der siegreichen Mannschaft in den Siegerpokal ein. Live vor Ort, vor hunderten Millionen Fernsehzusehern. TV-Kameras zeigen das Ritual traditionellerweise für ein paar Sekunden. "Ich versuche, so ruhig wie möglich zu bleiben. Ich muss den Druck vergessen", sagt Ries dem STANDARD.

Beliebte Schablonen

Michel Platini, der damalige Präsident des europäischen Fußballverbands (Uefa), führte das Live-Ritual 2009 ein. Ries, der sein auf Blech- und Laserschneiden spezialisiertes Familienunternehmen U. Ries et fils in Moudon nahe Lausanne führt, bekam den Zuschlag. Seither ist er für jedes Uefa-Endspiel zuständig – von der Europameisterschaft bis zur Champions, Europa, Conference und Nations League.

Wenige Wochen vor einem Europacup-Endspiel liefert die Uefa die jeweilige Trophäe zu Ries. Dann fertigt er Schablonen für die Namen der Finalisten an. Dabei seien die unterschiedlichen Formen der Pokale zu beachten. Die Schablone, die auf den bauchigen CL-Pokal passt, müsse klarerweise anders aussehen als jene für den schlankeren EL-Pokal.

Einen Tag vor dem jeweiligen Endspiel reist der Schweizer zum Finalort an – mit einem Set Schablonen im Koffer und vorsichtshalber auch im Handgepäck. Eine Lehre von 2009: "Ich fuhr mit dem Auto zum Flughafen, aber stand im Stau. Ich spürte den Stress, denn am Abend musste ich ja im Stadion sein." Seither nimmt er den Zug zum Flug.

Ries hat Trophäen wie den EL-Pokal vor den Vereinsakteuren in der Hand, auch vor dem siegreichen Frankfurt-Trainer Oliver Glasner.
Foto: IMAGO/Revierfoto

Liebe und Frust

2009 war es auch aus einem anderen Grund stressig: Die Gravur fand damals noch im VIP-Bereich des Stadions statt. Darf Ries heute in einem abgeschirmteren Kammerl arbeiten, hatte er damals prominente Zuseher im Rücken.

Der 73,5 Zentimeter große und 7,5 Kilogramm schwere Henkelpott ist symbolträchtig, zeichnet er doch die beste Mannschaft Europas, im Fußball im Grunde also meist die weltbeste, aus. Der Mythos geht so weit, dass Zollbeamte am Flughafen, sobald sie die Schablonen sehen, diese gern behalten würden, erzählte Ries der Schweizer Tageszeitung Tribune de Genève. Am Vormittag des großen Tages spaziert Ries meist in der Stadt herum, danach gönnt er sich eine Ruhepause, bevor es am Abend ernst wird.

Die erste Halbzeit kann der Graveur noch ansehen, ab der Pause bereitet er sich und seine Ausrüstung auf seinen Einsatz vor. Dass er so etwa 2018 den sensationellen Fallrückzieher des Walisers Gareth Bale in der Altauflage des heurigen Endspiels verpasste, ist für Ries "schon etwas frustrierend, aber ich liebe meinen Job".

Ein paar Sekunden Ruhm

Über die technischen Details dahinter wolle er nicht zu viel verraten, sagt er. Die Vorbereitung sei aber aufwendig. Ries erwähnt das Planen der Schablonen, das Ausmessen der Buchstaben, das Schneiden, und ja, poliert muss der Schriftzug des Titelträgers schlussendlich auch werden.

Die eigentliche Gravur dauere nur rund eine Viertelstunde. Ries verwendet dabei, salopp gesagt, etwas in der Art eines an einem Kabel hängenden Stifts, entfernt an eine Tätowiermaschine erinnernd. Die TV-Sender zeigen meist ein paar Sekunden dieses Rituals, mit vollem Fokus auf den Pokal und Ries’ Zauberhände. Man könnte sagen, berühmtere Gliedmaßen sind in der Fußballwelt nur Diego Maradonas Hand Gottes und für Fans der deutschen Bundesliga Manuel Neuers Abseits-Reklamations-Arm.

Bilder nach dem CL-Finale 2021.
Godwin Mutuku

Apropos Neuer: Ries ist wegen seines deutschen Vaters Fan von Bayern München, deren Königsklassentriumph 2020 war daher ein besonderer Moment für ihn. Ansonsten genieße er es, neue Leute bei solch großen Fußballevents kennenzulernen. 2009 traf er etwa den britschen Prinz William in Rom, bei der EM 2016 die beiden Musiker David Guetta und Zara Larsson.

In der Arbeit sei er aber freilich "neutral", sagt er. Dass Borussia Mönchengladbach aktuell aber kaum Chancen auf einen Europacup-Triumph hat, dürfte die Stimmung des Schweizers nicht trüben – denn je länger ein Teamname, desto mehr Arbeit für ihn. Großbuchstaben können Schwierigkeitsgrad und Arbeitszeit zusätzlich erhöhen.

Fotofinish in Paris

Real Madrid und Liverpool FC seien recht ähnlich schwer einzugravieren, sagt Ries im Hinblick auf das Finale am Samstag (21 Uhr, live im STANDARD-Ticker und auf Servus TV und Sky). Der Schweizer spricht aus Erfahrung, war er doch bei den vergangenen vier Triumphen der Spanier anwesend und 2019 auch bei jenem der Engländer.

Wer das Finale gewinnen wird? "Wenn ich das wüsste, müsste ich nur eine Schablone mitnehmen." (Andreas Gstaltmeyr, 27.5.2022)