Ordenträger Patron, ukrainischer Sprengstoffexperte und ab und zu einfach nur ein müder Hund auf einer Pressekonferenz, der in traurigen Zeiten für Freude sorgt.

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Er heißt Patron, ist ukrainischer Minensuchexperte und Social-Media-Star. Der zweijährige Jack Russell Terrier hat bereits mehr als zweihundert russische Landminen und andere Sprengkörper erschnüffelt. Darüber hinaus besucht er Kinder im Spital oder unterstützt sie beim Erlernen der Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit Minen. Fotos und kurze Clips auf Twitter, Facebook und Instagram machten Patron, den laut New York Times "vielleicht kleinsten Kämpfer der Ukraine", in seiner Heimat so beliebt, dass ihm nun auch eine Briefmarke gewidmet werden soll. Man sieht ihn beim Buddeln, beim Spielen auf einer Löwenzahnwiese oder mit den Vorderpfoten auf einem Haufen Minen stehen. In einem Foto-Reel wird sein Lieblingsspielzeug gezeigt: ein stark in Mitleidenschaft gezogenes Plüschexemplar des Säbelzahneichhörnchens aus dem Film Ice Age. Bei einer Pressekonferenz erhielt er einen eigenen Stuhl auf dem Podium, doch schnell sank sein müdes Haupt auf den Tisch, und er schlief ein.

Nicht nur die Anwesenden, auch viele andere Menschen auf der Welt mussten über dieses Bild lachen, und hier zeigt sich, dass Patron vor allem eines vermag: Menschen zum Schmunzeln zu bringen in einem Kontext, in dem niemandem zum Lachen zumute ist: dem Krieg. Eine kurze Auszeit, ein winziges Loch im endlosen Grauen, durch das das Leben von vorher und anderswo einen Lichtstrahl wirft.

Am 8. Mai 2022 wurde Patron von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Rahmen einer Ehrung des Minenräumungsteams von Tschernihiw ein Orden für besondere Dienste verliehen. Und obwohl der Respekt für die Leistung des Tieres durchaus ernst gemeint war, gab es auch hier wieder Gelegenheit für Humor in angst- und leidbeschwerten Zeiten. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau, der der Zeremonie beiwohnte, klopfte sich suchend auf die Taschen, um Patron vorzutäuschen, es könnten sich darin Leckerlis befinden. Das ukrainische State Emergency Service berichtete, der Hund sei "überaus erfreut gewesen, einen wahren Freund der Ukraine zu treffen, auch wenn es Mr. Trudeau nicht gelang, ein Stückchen von Patrons Lieblingskäse zu finden".

Gehören die Aufnahmen von Patron und anderen Tieren nicht zur ukrainischen Strategie, mittels Viral Messenging das Kriegsnarrativ zu eigenen Gunsten zu beeinflussen? Mag sein – die hier eingesetzte Bildsprache ist jedenfalls wesentlich überzeugender als bei ähnlichen Versuchen der Gegenseite. Die vom 9. Mai 2022, dem russischen Tag des Sieges, veröffentlichten Aufnahmen von als Soldaten verkleideten Kindergartenkindern, die Papp-Panzer mit dem Z-Symbol trugen, riefen beim internationalen Publikum eher Entsetzen als Entzücken hervor.

Schon lange vor dem Krieg hat sich der russische Präsident mit Hunden präsentiert. In meinem Besitz befand sich einmal ein Putin-Hundekalender, den ich ob seiner Skurrilität erworben hatte. Zwölf Mal posierte Putin mit je einem anderen Hund. Dass zwischen Tier und Mensch keinerlei (auch für die kurze Zeit eines Shootings herstellbare) Beziehung, geschweige denn Sympathie bestand, war nicht schwer zu erkennen. Der Hund diente hier als narzisstisches Accessoire, ähnlich wie jene unter Drogen gesetzte Tiger, mit denen Touristen für Urlaubsbilder posieren.

Fotos mit Hunden

Fotos mit Hunden (nicht nur von Politikern, sondern gerne auch auf Dating-Apps) dienen oft dazu, Sanftheit und ein gutes Herz zu vermitteln, was Putin und seinen Medienprofis selten gelang. Es ist verblüffend, dass nicht einmal Bilder aussortiert wurden, auf denen der Hund offenkundig verängstigt dreinschaut, wie etwa auf etlichen jener, die 2017 entstanden, als der turkmenische Präsident beim Gus-Gipfel in Sotschi einen Welpen am Kragen packte, hochhielt wie eine Trophäe und dem russischen Präsidenten zum Geschenk überreichte.

In einem wesentlich bescheideneren Ausmaß als der tüchtige Patron ist auch mein Hund Bubi eine Social-Media-Persönlichkeit. Seit vielen Jahren erfreut er sich treuer Gefolgschaft auf meiner Facebook-Seite, wo er regelmäßig ein Vielfaches an Likes bekommt als etwa eine meiner Lesungsankündigungen. Im realen Leben fragen Facebook-Freunde unverhohlen: "Wann kommt wieder was von Bubi?", anstatt sich nach meinem nächsten Buch zu erkundigen. Einmal kamen uns bei unserer Morgenrunde zwei mir unbekannte Frauen entgegen. Die eine sagte: "Schau, das ist der Bubi! Der von Facebook!" Sie wendeten sich direkt an den erkannten Promi, der angemessen geschmeichelt reagierte, und gingen dann weiter, ohne von mir Notiz genommen zu haben. Ich nehme das in aufrichtiger Neidlosigkeit zur Kenntnis, denn ich kann es verstehen. Wenn auf einer Bühne etliche exzellente Schauspieler und Schauspielerinnen stehen und ein Hund, kann auch ich nicht umhin, meine Aufmerksamkeit auf den Hund zu konzentrieren.

Bubi ist ein schwarzer Jack-Russel-Dackel-Schnauzer-Mix, der als Welpe in Ungarn ausgesetzt gefunden und von einer Tierschutzorganisation an mich vermittelt wurde. Mittlerweile ist er zwölf Jahre alt und am Bärtchen ergraut. Im Gegensatz zu Patron wurde er zu keinen allzu nützlichen Taten trainiert, wenn man davon absieht, dass er uns auf Kommando die Socken ausziehen kann, ohne sie dabei zu zerfetzen. Seine Dienstbezeichnung lautet "Schriftstellerinnenassistenzhund", was bedeutet, dass er mir beim einsamen Geschäft des Schreibens Gesellschaft leistet, mich beim Recherchieren über Biber in die Donauauen begleitet (Dicke Biber) oder als Protagonist und Proband dient (Unter Menschen). Als ich etwa las, dass Hunde Studien zufolge die einzige nichtmenschliche Spezies sind, die Zeigegesten verstehen, konnte ich das mit Bubis Hilfe mühelos verifizieren. Diese Fähigkeit besitzen Hunde von Geburt an, was auf eine genetische Anpassung hindeutet – ganz im Gegensatz zu den ebenfalls schon lange mit Menschen lebenden Katzen, die, wie jeder weiß, der schon einmal versucht hat, eine solche per Zeigefinger auf die Lokalität ihres Futters hinzuweisen, dieser hilfreichen Geste keinerlei Beachtung zu schenken pflegen.

Da ich Bubis Gedanken lesen kann, transkribiere ich sie oft für die Allgemeinheit, etwa so: "Frauchen hat ein Paar Frankfurter rausgerückt, und ich habe es ihr dadurch gedankt, dass ich beim Spaziergang einem Hasen hinterher und im wilden Galopp am Horizont verschwunden bin. Ich hatte dann eine super Zeit mit Vögeln und Mäusen und dem Wind in meinem Haar. Wie ich nach einer Stunde mit Jagen fertig war, hab ich mich ganz entspannt hingesetzt und gewartet, dass Frauchen mich wieder abholt. Sie hat mich bis jetzt noch immer gefunden! Es ist so süß, wenn sie erschöpft auf mich zutaumelt und heiser meinen Namen krächzt. Jetzt wird es wieder Trockenfutter und Schleppleinentraining geben, aber DAS WAR ES MIR WERT! Ein Wolf muss tun, was ein Wolf tun muss." Dieser Text kontrastiert mit dem Bild seines Sprechers, der ein stets unschuldiges Antlitz präsentiert.

Schon während der Pandemie und erneut seit Kriegsbeginn hat sich eine ferntherapeutische Funktion Bubis herauskristallisiert, die er mit seinem berühmten Artgenossen Patron gemein hat. Sein Anblick und seine kleinen Geschichten spenden Trost. In einer Flut von Katastrophenmeldungen und schrecklichen Bildern ist das Betrachten eines Hundes mitnichten belanglose Unterhaltung. Ein Tier erinnert uns an Liebe, Freude, Alltag, Normalität, auch wenn wir es nur wenige Sekunden lang auf einem Bildschirm sehen. Herzerwärmung, ein sich blitzschnell einstellender Effekt, den man zum eigenen Schaden als sentimental wegklickt. Es gibt Studien, wonach die bloße Anwesenheit eines Hundes in einem Raum den Oxytocinspiegel der anwesenden Menschen ansteigen lässt – was für eine Leistung dieser Tiere, die sie auch in medial zweidimensionaler Gestalt für viele gebeutelte Menschenseelen erbringen.

Wie die meisten Kinder wünschte auch ich mir, als ich klein war, einen Hund, und wie die meisten bekam ich ihn nicht. In meiner Fantasie sah mein Traumhund ziemlich genauso aus wie Bubi – klein, schwarz, Dackel-Terrier-artig – und erfüllte die Rolle eines Übergangsobjekts. Er würde immer bei mir sein, aber ohne Halsband und Leine, eine Art Alter Ego oder Schatten, der mir folgte wie ein Entenküken seiner Mutter. In Wirklichkeit habe ich in meinem Leben nur einen Hund gesehen, der auf diese Weise seinem Besitzer folgt, ihn immer im Auge behaltend, dabei selbstständig die Straße überquerend wie ein Mensch. Er gehört einem Obdachlosen, dem ich öfter begegne. Dieser Hund braucht keine Kommandos, er versteht die Körpersprache und noch die leiseste Mimik seines Herrchens. Er läuft auf den Wiesen des Bezirks herum und spielt mit anderen Hunden, von denen er sich trennt, wenn er sieht, dass sein Mensch weitergegangen ist.

Auch Patron gilt als "Diener des Volkes": Am 8. Mai wurde dem Schnüffler von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Rahmen einer Ehrung des Minenräumtrupps von Tschernihiw ein Orden für besondere Dienste verliehen.
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Herr und Hund und Mann

Einmal ging es dem Mann schlecht, er kam nur langsam voran und blieb immer wieder stehen, um Kräfte zu sammeln. Der Hund geleitete ihn wie eine Mutter, mit großer Sorge im Blick. Der Grund, weshalb die Hunde von Obdachlosen oft so erstaunlich "brav" sind, ohne je einen teuren Hundekurs absolviert zu haben, ist der, dass sie mit ihren Besitzern rund um die Uhr zusammen sind. Aus Hundesicht ein idealer Zustand, in unablässiger Interaktion mit dem Rudelführer.

Als ich ein Kind war, wusste man wenig über Intelligenz und Gefühlswelt von Hunden. Von ihren Besitzern war Unterschiedliches zu hören. Die einen meinten, Hunde könnten Wort für Wort Gesprächen folgen oder gar hellsehen, andere hielten sie für seelenlose Maschinen, die durch konsequente Prügel kalibriert werden mussten. "Abrichten" nannte man die auf Unterwerfung abzielende Dressur.

Welche Missverständnisse seither aufgeklärt wurden und wie Besitzer unwillkürlich dazu neigen, Menschliches auf den Hund zu projizieren, lässt sich etwa an Thomas Manns 1918 entstandener Erzählung Herr und Hund. Ein Idyll nachvollziehen. Kaum zu ertragen ist beispielsweise die Szene, wo er seinem als "bäurisch" beschriebenen Hund Bauschan befiehlt, über einen quer vorgehaltenen Stock zu springen. Dieser versteht nur die grundsätzliche Aufgabe, das Hindernis zu überwinden, und läuft unten durch. Dem großen Schriftsteller wird das Kommunikationsproblem auch nach vielen Versuchen nicht klar: "… in deiner Wut wird dir nichts übrigbleiben, als ihn beim Kragen zu nehmen und den gellend Quiekenden hinüberzuwerfen (…)". Mann hält den Hund, der es ja vermag, über eine geschlossene Hecke zu springen, für verstockt, und räsoniert darüber, dass kein Einsatz der von Bauschan gefürchteten Lederpeitsche diese Verstocktheit zu brechen vermag. Dass es für einen Hund keinen Sinn macht, über einen Stock zu springen, wenn man auch darunter durchlaufen kann, und dass man ihm dieses Kunststück mit anderen Mitteln beibringen müsste als mit Prügeln, bleibt unbedacht. Ein weiterer Klassiker des Missverständnisses ist das Gähnen. Nach einer aufreibenden Jagdszene beobachtet Mann ergrimmt, dass Bauschan immer wieder gähnt, und ist tief beleidigt: "Es war das unverschämte, sprerrangelweite, grob gelangweilte (…) Gähnen, das deutlich ausdrückt: ‚Ein schöner Herr! Kein rechter Herr! Ein lumpiger Herr!‘" Heute weiß man, dass Hunde bei Stress gähnen.

Ungeachtet solcher Kommunikationsschwierigkeiten wurden Hunde schon im Ersten Weltkrieg vor allem an der Westfront in einer Reihe von Funktionen eingesetzt: als Zugtiere für Wägen mit Verpflegung und Munition, als Wachhunde, die nachts vor dem Herannahen feindlicher Patrouillen warnten, als Rettungshunde zum Aufspüren von Verschütteten, oder als Boten, die Nachrichten wesentlich schneller überbringen konnten als menschliche Läufer. Auch Orden erhielten sie. Als meistausgezeichneter Hund des Ersten Weltkrieges gilt der sowohl von Frankreich als auch den USA für seine Dienste geehrte Boston Bull Terrier Sergeant Stubby, der nicht nur Verwundete fand, sondern auch zuverlässig vor Gasangriffen warnte. Schon damals waren Hunde nicht nur für ihre Leistungen geschätzt, sondern ebenso als Maskottchen und treue Begleiter, die den schrecklichen Alltag im Schützengraben erleichterten. 2004 wurde in London das Animals in War Memorial enthüllt, das all der in Kriegen eingesetzten Tiere gedenkt – neben Hunden auch Pferden, Dromedaren, Brieftauben, Ziegen und Elefanten.

Neu im gegenwärtigen Krieg ist hingegen das Phänomen, dass Flüchtende in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ihre Haustiere mitnehmen. Etliche Aufnahmeländer haben ihre Einreisebestimmungen für ukrainische Haustiere geändert, auch nach Österreich dürfen sie ohne Kennzeichnung und Impfung einreisen. Die Flüchtenden tragen ihre Tiere in Schachteln, Taschen oder am Arm, nehmen sie mit im Auto, Zug oder zu Fuß. Der Schriftsteller Andrij Kurkow flüchtete mit seiner Katze Pepin und seinem Hamster Semyon. (Pepin ist mittlerweile nach Kiew zurückgekehrt, Semyon leider verschieden.)

Auch für die Zurückgebliebenen ist das Schicksal der Tiere von Bedeutung. Eine alte Frau namens Mariya Fomentsowa, die im Dorf Horenka in der Nähe von Butscha lebt, zeigte einem Journalisten, wie sie während der Bombardierungen ihrem Hund ein Kopftuch um die Ohren band, damit er sich vor dem Lärm nicht so fürchtete. Ukrainische Soldaten füttern bei der Rückeroberung die von Flüchtenden zurückgelassenen Tiere, Freiwillige stellen in Bombentrümmern Futterstationen auf. In Borodjanka wurde eine im siebenten Stock eines zerbombten Wohnhauses gesichtete Katze mit einem Feuerwehrkran gerettet. Auch sie, die drei Wochen im Schutt ausgeharrt hatte und durch ihren verärgerten Gesichtsausdruck die Gefühle vieler Ukrainerinnen spiegelte, ist nun eine Legende. Die Sicht auf Tiere als notwendigen Kollateralschaden eines Krieges hat sich verändert, ihr gleichberechtigter Anspruch auf Leben und Unversehrtheit wird anerkannt.

Dies nützt nicht nur den Tieren, sondern auch den Menschen. Die Katze, die man in der Kriegshölle versorgt, hilft einem, die eigene Menschlichkeit zu bewahren. Der Hund, der als Familienmitglied mitgenommen wird, ist eine emotionale Stütze. Wer je einen Bubi gehabt hat, kann das verstehen. (Bettina Balàka, 29.5.2022)