Müssen wir bald mit der Geier-Gürtelrose leben?

Foto: c Richard Straub

Wer hätte das für möglich gehalten. Mehr als zwei Jahre hindurch war alle Welt der Meinung, mit dem Coronavirus, dem ebenso wandlungsfähigen wie variantenreichen Nanoschwein, sei die Menschheit auf ihr ultimatives Medienthema gestoßen. Wohlig wog man sich in der Gewissheit, sich nun auf eine jahrzehntelang anhaltende Mutationsberichterstattung von der Virenfront einrichten und alles andere getrost vergessen zu können.

Mitnichten! Plötzlich tauchen wie aus dem Nichts die Affenpocken auf und stehlen Corona die Show. Über Corona zu reden ist von vorgestern, die Affenpocken hingegen sind der letzte Schrei. Möglicherweise ist dieser Paradigmenwechsel ein Vorbote des Zoonosen-Abc, auf das wir uns angesichts schwindender Artenvielfalt dauerhaft gefasst machen können: Affenpocken, Brillenschlangen-Tuberkulose, Coronavirus-Atemnot, Damhirsch-Durchfall, Elch-Juckreiz, Feldhamster-Flatulenz, Geier-Gürtelrose und so fort. Der wunderbare Kollateralnutzen einer ökologisch unsentimentalen Wirtschaftsordnung! Pfeif auf die olle Mutti Natur! Dann bekommt man zur Belohnung außer einem verschwenderischen Zuwachs an SUVs, der Auswahl zwischen zweiundachtzig Sorten Fruchtjoghurt, einer flächendeckenden Bodenversiegelung und einem ewigen globalen Juliwetter auch noch ein paar saftige Zoonosen dazu!

Keine Frage, dass die Affenpocken-Zunahme auch zu einer Wiederholung all jener netten Kommunikationsphänomene führen wird, die wir schon von Corona her kennen. Auf Youtube findet man bereits Kohorten von HobbyFachleuten, die so tun, als hätten sie den Virologie-PhD aus Stanford in der Tasche und gäben nun kostbare Expertise preis ("Geheimmittel gegen Affenpocken: Vitamin D!"). Ebenfalls auf dem Programm: viele tolle Enthüllungen über die Mächte, die hinter den Affenpocken stecken (Bill Gates, George Soros, die Freimaurer).

Der 2005 verstorbene Kollege Herbert Hufnagl hat einst eine populäre Kolumne geschrieben, in der es darum ging, dass ein Knabe in Schönbrunn einem Affen mit den Worten "Fang auf, du Koffer!" eine Erdnuss zuwarf. Der Witz der Sache ist natürlich der, dass hier an der Intelligenzanmaßung des Menschen gegenüber dem Tier echte Zweifel bestehen. Wer der größere Koffer ist, ist aber auch heute noch mehr als unklar. (Christoph Winder, 27.5.2022)