Am Tag nach der Eröffnung habe niemand angerufen, sagt Sandra Ferstl. Das sei ein gutes Zeichen, denn die Leute riefen nur an, wenn sie sich beschweren wollten. Sandra Ferstl ist Leiterin der Veranstaltungsorganisation des Kulturzentrums (KUZ) Mattersburg, das am vorigen Sonntag wiedereröffnet wurde, auf den Tag genau 46 Jahre nach seiner ersten Eröffnung. Ein sehr schönes Haus sei das, freut sich auch Bürgermeisterin Claudia Schlager (SPÖ), die gerade das große Foyer durchquert. "Die Verbindung von Alt und Neu ist sehr gelungen!"

Fels und Quader

Auch am 22. Mai 1976 war hier Feiern und Freude angesagt. Das Kulturzentrum war schließlich der erste Teil der großen Burgenland bildungsoffensive von Unterrichtsminister Fred Sinowatz und Landesrat Gerald Mader. Die Kulturzentren sollten niederschwelligen Zugang zu Hoch- und Volkskultur bieten und der "freien Meinungs äußerung" dienen. Jetzt stehen Sinowatz und Mader (mit dicker Seventies-Brille) als bronzefarbene Büsten im Gras vor der Waschbetonfassade des neuen Saals. Marlies Breuss und Michael Ogertschnig vom Wiener Büro Holodeck Architects stehen daneben. Die Fassade aus dezent unterschiedlich eingefärbten Betonplatten, sagen sie, ist eine Hommage an den Altbau, den Architekt Herwig Udo Graf 1976 im Stil des Brutalismus entworfen hatte: ein Ensemble aus expressiv geformtem Sichtbeton.

Die sanierte Hülle des alten Veranstaltungssaals von 1976 (links) und der neue Saal (rechts).
Foto: Wolfgang Thaler

Jetzt stehen sich der alte und der neue Veranstaltungssaal gegenüber, verbunden durch ein neues Foyer mit einer etwas an die 1990er Jahre erinnernden Glasfront. Wo Grafs bildhauerischer Beton wirkt wie ein massiver Fels, ist der neue Saal ein schlichter Quader, hineingerückt in den Hang. "Wir wollten den alten Saal für sich stehenlassen und ihm ein ruhiges Pendant zur Seite stellen, mit einem transparenten Gelenk dazwischen", erklärt Marlies Breuss.

Drei Teile, das klingt einfach, doch das darin unterzubringende Programm war komplex. Der bisherige Mix aus Veranstaltungssaal, Ausstellungsbereich, Literaturhaus und Volkshochschule wurde ergänzt um einen Teil des Landesarchivs und alle 140.000 Bände der Landesbibliothek. Dafür organisierten Holodeck die Gesamtanlage neu: Das Eingangsniveau wurde abgesenkt, um barrierefrei zu werden, Eingang und Vorplatz deutlich zur benachbarten Schule hin orientiert, um einen gemeinsamen Platz zu schaffen. Der Verbindungstrakt zur Schule wurde abgebrochen. Zugunsten einer neuen Verbindung zum Bahnhof, aber auch als architektonische Distanzierung. "Die Schule wurde 2003 saniert mit Wärmedämmung und weißem Putz. Ein Umgang mit der Substanz, der heute nicht mehr zeitgemäß ist – hier wurde der Brutalismus zerstört", sagt Ogertschnig.

Über den Umgang mit der Substanz und dem Brutalismus wurde in Mattersburg lange debattiert; die Geschichte des Kulturzentrums war eine konfliktreiche. Ein Rückblick im Schnelldurchlauf: Bis auf den Einbau einer "Artbox" 1998 war der Bau weitgehend im Originalzustand erhalten, bis er im September 2014 plötzlich vom Land Burgenland geschlossen wurde, es bestehe Gefahr im Verzug. In Reaktion darauf formierte sich die Plattform "Rettet das Kulturzentrum Mattersburg", deren Petition für den Erhalt schnell 2000 Unterzeichner und ein breites mediales Echo fand.

Konfliktreiche Geschichte

Nach einem gemeinsamen Workshop kam vom Land Burgenland die Zusage, das KUZ "in seinen wesentlichen architektonischen Merkmalen" zu erhalten, man benötige aber unbedingt einen Saal für 600 Personen. Das waren genau rund 51 Sitze mehr als vorhanden (der jetzt eröffnete Saal hat, nebenbei bemerkt, 410 Plätze). Im Juni wurde ein Architekturwettbewerb ausgelobt, im Mai 2016 Holodeck als Gewinner gekürt, doch die Wettbewerbsbeiträge nicht öffentlich präsentiert, man wollte die Diskussion nicht weiter anfachen, so der damalige Kulturlandesrat Helmut Bieler (SPÖ).

Der denkmalgeschützte Nordtrakt wurde erhalten, ein neues verglastes Foyer mit Vorplatz dient als Eingang und Verbindung.
Foto: Wolfgang Thaler

Doch genau das passierte, denn ein Bescheid des Bundesdenkmalamts (BDA) verkündete im November 2016 mithilfe einer dürren Filzstiftskizze die Teilunterschutzstellung der "Außenerscheinung des Nordtraktes". Ein nicht ganz nachvollziehbarer Kompromiss, der eine Welle von Kritik in der Architekturwelt hervorrief. Es war eine kleine Skizze mit großen Folgen, denn sie bestimmte maßgeblich, was ab 2019 schließlich gebaut wurde.

Für den Umgang mit der Ära der Spätmoderne, deren Bauten jetzt ins Sanierungsalter kommen, gibt es hierzulande noch wenige Präzedenzfälle, in jüngster Zeit haben Ernst Beneder mit seiner behutsamen Sanierung des Rathauses Prinzersdorf von 1973 und Riccione Architekten mit der Erweiterung der Pädagogischen Hochschule Salzburg aus den 1960er-Jahren Highlights gesetzt. Auch die Mattersburger Lösung eines Gegenübers von Alt- und Neubeton mit einem Verbindungselement dazwischen klingt wertschätzend, und in der Tat darf der sorgfältig sanierte Sichtbeton des Saals von 1976 jetzt fast so rein wie damals strahlen.

Verräumte Räume

Und doch mischen sich im Detail immer wieder Untertöne in diesen Dialog. Der Bestand wurde genau so weit erhalten, wie vom BDA vorgeschrieben, aber keinen Zentimeter weiter. Die Freiluftarena, früher beliebter Treffpunkt im Freien, ist jetzt nur über den kleinen Lesesaal erreichbar, um dem neuen Vorplatz keine Konkurrenz zu machen. Dabei wäre eine Kombination von beiden über das Foyer hinweg durchaus reizvoll gewesen. Eine denkmalgeschützte Tür bekam im Inneren eine Stahlstiege quer vors Glas gestellt und wird unbenutzbar. Die Büroräume hinter der sanierten Fassade wurden niedriger, weil die neue Gastronomie darunter mehr Höhe brauchte. Sprich: Wenn hier im Dialog jemand nachgeben muss, ist es immer der Altbau.

Wo sich der alte Saal befand,
wurden mehrere kleinere Räume ein- und ineinandergefügt.
Foto: Wolfgang Thaler

Besonders deutlich im Inneren: Die Kontur des alten Saals, nach außen noch voll präsent, ist im Inneren nicht mehr wahrnehmbar, sondern angefüllt mit sich überlagernden Räumen, Wegen, Materialien, Oberflächen, verräumt in die Kubatur, die man zur Verfügung hatte. Fast hat man den Eindruck, dass sich die Architekten eigentlich lieber frei auf einer Tabula rasa entfaltet hätten, als sich an eine Filzstiftskizze zu halten und mit einem Felsbrocken von brutalistischer Kraft auseinanderzusetzen.

Herwig Udo Graf, der zur Eröffnung nicht eingeladen war, sagte schon 2016, man könne seinen Bau jetzt auch gleich ganz abreißen. Das allerdings wäre ein großer Verlust gewesen. Denn ein konfliktreicher Dialog ist immer noch besser als eine Tabula rasa. Im günstigsten Fall entsteht durch diese Reibungsflächen tatsächlich: Kultur. (Maik Novotny, 29.05.2022)