Über ein Berliner Start-up können sich Menschen nach ihrem Tod kompostieren lassen – und dadurch zu Erde werden, aus der Neues entsteht.

Foto: Circulum Vitae

Karin Wilk fand das gängige Angebot der Bestattungsformen ziemlich unbefriedigend. "Ich möchte einmal weder von Maden zerfressen werden noch verbrannt werden", erzählt die Pensionistin aus Oberbayern am Telefon. In Deutschland wie in Österreich stehen Menschen vor ein und demselben Problem: Man kann zwar auf hunderte Weisen leben, aber nur auf zwei Arten bestattet werden, durch Erd- oder Feuerbestattung. "Ich mochte Hitze noch nie, da können die mir tausendmal sagen, ich sei ja dann schon tot", sagt Frau Wilk, die in Mittenwald an der Grenze zu Tirol lebt.

Nun aber hat die 70-Jährige im Fernsehen von einem dritten Weg der Bestattung gehört. Dieser gefalle ihr besser. Das Berliner Start-up Circulum Vitae (auf Deutsch "Kreis des Lebens") führt seit kurzem Kompostierungen von Verstorbenen durch. Der Leichnam kommt in eine grau-braune Metalltruhe, das Unternehmen nennt sie einen "Kokon". Auf Grünschnitt, Blumen und Stroh gebettet und im Zusammenspiel von Sauerstoff, Feuchtigkeit und Bakterien verwandle sich der Verstorbene in 40 Tagen zu Erde, verspricht Circulum Vitae. Dann könne der aus dem Menschen entstandene Humus aus dem Metallkokon genommen und auf einem Friedhof bestattet werden, am besten nur 30 Zentimeter tief mit einer dünnen Schicht Friedhofserde darüber.

Mit Erde etwas Neues pflanzen

Die Angehörigen könnten mit der Erde in Erinnerung an den Verstorbenen etwas Neues pflanzen, schlägt Circulum Vitae vor. "Eine Dame meinte zu mir, sie würde auf ihrem Grab gerne einen Rosenbusch wachsen lassen, und dann sähen ihre Enkel sie großwerden", sagt Pablo Metz, einer der beiden Start-up-Gründer, zum STANDARD. Die Bestattungsform nennt sich daher auch Reerdigung. Ein Mensch geht, doch er bleibt auch. Frau Wilk findet die Vorstellung hübsch: "Wenn aus mir zum Beispiel eine Stechpalme wächst, ist das ein schöner Gedanke."

"Kokon" nennt Circulum Vitae seine Hightech-Metalltruhe, in der sich der Verstorbene in 40 Tagen zu Erde verwandelt. Alle paar Tage wird sie um die eigene Achse gedreht.
Foto: Circulum Vitae

Allein durch den Mix aus Frischluft, Pflanzen, Flüssigkeit und Bakterien erhitze sich der Kokon innen auf bis zu 70 Grad Celsius, beschreibt Metz den sechswöchigen Vorgang. Die Hightech-Truhe werde alle paar Tage behutsam um die eigene Achse gedreht. "Eine Umdrehung dauert fast anderthalb Stunden und hilft, die absinkende Feuchtigkeit gleichmäßig zu verteilen", erklärt er.

Es fühlt sich schöner an

Metz, der Start-up-Gründer, sagt, die Reerdigungen hätten zwei große Vorteile. Erstens würde sich der Plan, so bestattet zu werden, für viele Menschen "schöner anfühlen". Zweitens sei die Methode im Vergleich zu den etablierten Bestattungsformen in Sarg und Urne deutlich besser fürs Klima. Das Unternehmen bewirbt die Reerdigungen dessenthalben unter der Marke "Meine Erde".

Krematorien verbrauchen viel Energie, heute in der Regel Erdgas. Wie viel CO2 bei einer Einäscherung freigesetzt wird, ist laut Bestattern wegen der diversen Bauformen der Öfen schwer zu sagen. Das britische Unternehmen CDS, das Friedhöfe und Feuerhallen plant, hat für das Vereinigte Königreich einen durchschnittlichen Ausstoß von 245 Kilogramm Kohlenstoff pro Feuerbestattung errechnet.

Mehr Einäscherungen

In Österreich starben im vergangenen Jahr mehr als 90.000 Menschen. Der Anteil von Feuerbestattungen schwankt zwischen den Bundesländern erheblich: In Vorarlberg liegt er bei rund 80 Prozent, in Wien nur etwas höher als 30 Prozent. Überall aber wächst die Quote der Einäscherungen – und damit auch der ökologische Fußabdruck, den Menschen auf ihrem letzten Weg hinterlassen.

Auch eine traditionelle Erdbestattung sei aber wenig nachhaltig, betont Circulum-Vitae-Chef Metz. Er denkt dabei ans Holz der Särge, an Leichenbestandteile, die ins Grundwasser sickern, und an diverse Gase, die ein Toter in einem fest verschlossenen Sarg verströmt. "Unsere Reerdigung ist hingegen ein aerober Prozess, in den Kokon geht Luft rein und raus. Dabei entstehen keine Gerüche, kein Gestank", sagt Metz. Bis Ende des Jahres will Circulum Vitae rund 50 Kokons in Betrieb genommen haben.

Gleiche Kosten

Metz ist zuversichtlich, diese im Einvernehmen mit Politik und Kirchen schon bald in ganz Deutschland aufstellen zu können. Die Reerdigung sei eine neue Form der Erdbestattung, "wir brauchten dafür bisher keine Gesetzesänderung", sagt Metz. Sie soll auch nicht mehr kosten als eine durchschnittliche Feuerbestattung, in Deutschland seien das 2100 Euro. Im Pionierkokon, der im nördlichen Bundesland Schleswig-Holstein steht, sind bereits zwei Leichname kompostiert worden. Ab 2023 möchte man die Reerdigung auch in Österreich und der Schweiz anbieten.

Wird das Kompostieren damit auch ein Teil der österreichischen Bestattungskultur? Bei Friedhofsverwaltern und Bestattern beobachtet man die Entwicklung zumindest gespannt. Die letzte Reise eines Menschen ist Angelegenheit der Länder, Österreich hat neun Bestattungsgesetze. Im Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz findet sich zum Beispiel noch nichts übers Kompostieren. "Das Gesetz ist hierzu nicht eindeutig, das Thema ist nicht ausgeführt", sagt Julia Stering, Sprecherin der Friedhöfe Wien GmbH, zum STANDARD. Anfragen von Kunden habe es jedenfalls noch nicht gegeben.

Wien bleibt traditionell

Private Bestatter in Wien können sich auf Nachfrage durchaus vorstellen, ihr Angebot um Reerdigungen zu erweitern. "Wir sehen darin eine beschleunigte Erdbestattung und ein interessantes Konzept. Man muss aber abwarten, ob die Reerdigung hierzulande auch rechtlich der Erdbestattung entspricht", sagt Georg Haas, Co-Geschäftsführer der Bestattung Himmelblau. Auch Stefan Atz vom Privatbestatter Benu sieht Potenzial: "Sofern es gesetzlich möglich und auch von Hinterbliebenen angenommen werden sollte, würden wir diese Bestattungsart auf jeden Fall aufnehmen."

Karin Wilk (70), Pensionistin aus Oberbayern, will sich nach ihrem Tod von Circulum Vitae bestatten lassen.
Foto: Karin Wilk

Circulum Vitae verspricht, tröstliche Bestattungsrituale zu bewahren. So soll der Kokon stets in ein umgewidmetes oder neu gebautes Friedhofsgebäude gestellt werden, ein sogenanntes Alvarium ("Bienenstock"), das Angehörige während der 40-tägigen Kompostierung besuchen können. Die evangelische Kirche in Norddeutschland gab bereits ihren Segen. Die Reerdigung, sagte die Pastorin Hilke Lage kürzlich im Deutschlandfunk Kultur, sei "eine gute Alternative zu den etablierten Bestattungsformen", sowohl aus christlicher als auch aus ökologischer Sicht.

Trend der Baumbestattung

Österreichs Bestatterszene bemerkt ohnehin einen Trend zur Beisetzung in der Natur, insbesondere zur Baumbestattung. Die Stadt Wien bietet mittlerweile Waldgräber auf dem Zentralfriedhof, in Stammersdorf, in Neustift und auf dem Friedhof Südwest an. Beim privaten Anbieter Benu finde schon jede fünfte Bestattung auf einem Baumfriedhof statt. Die Frage, "ob die Beisetzung im Rahmen einer Reerdigung auch auf den Waldfriedhöfen ermöglicht werde, könnte für den Erfolg sehr entscheidend sein", glaubt daher Benu-Chef Stefan Atz.

Circulum-Vitae-Gründer Metz weiß um die Konjunktur von Bestattungswäldern, Seebestattungen und dergleichen, sagt aber: "Viele Menschen haben dabei den Gedanken, es sei ökologischer und einfacher. Durch die Feuerbestattung ist es allerdings nicht ökologischer." Seine künftige Kundin Karin Wilk aus Bayern gibt zu, dass der Klimagedanke für sie gar nicht so wichtig sei. Sich dereinst kompostieren zu lassen fühle sich einfach besser an, sagt sie: "Ich bin froh, dass ich jetzt weiß, was ich will." (Lukas Kapeller, 29.5.2022)