Wer gern bei Rotwein und Käse ordentlich zugreift, kann schon einmal unangenehme Folgen spüren – wegen des Histamins. Doch bevor man zur Besserung eine rigorose Diät einhält und verzichtet, sollte man den genauen Ursachen auf den Grund gehen.

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Rotwein trinken, dazu lang gereiften Käse, Walnüsse, Tomaten und zur Abrundung noch ein paar Erdbeeren snacken – schmeckt köstlich, stellt aber eine Kombination dar, die beim einen oder anderen unangenehme Folgen haben kann. Das hängt mit dem Botenstoff Histamin zusammen, der in diesen Lebensmitteln reichlich enthalten ist.

Histamin wird aber nicht nur von außen zugeführt, auch das Immunsystem produziert diesen Botenstoff in bestimmten Situationen. "Wir brauchen Histamin, damit unser Immunsystem bei Entzündungen und Wunden besser arbeiten kann", sagt Ludger Klimek, Spezialist für Allergologie und Immunologie und Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden.

Unser Immunsystem ist zweifellos ein Wunderwerk, aber es kann mitunter auch zum Problem werden. Hat jemand beispielsweise eine Tierhaarallergie, dann veranlasst sein Immunsystem, dass große Mengen Histamin freigesetzt werden, um das Allergen abzuwehren. Das kann bei manchen Menschen, insbesondere wenn mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen, sogar zu einem Asthmaanfall führen. Histamin selbst ist dabei nur der Auslöser.

Zu viel Histamin im Körper

Normalerweise verfügt der Mensch über zwei Enzyme, die Histamin schnell wieder abbauen. Es gibt aber auch Menschen, bei denen dieser Abbau gestört ist. Wird dann der individuelle Schwellenwert für Histamin überschritten, entfaltet der Botenstoff seine pharmakologische Wirkung im Körper: Die Blutgefäße weiten sich, Betroffenen wird heiß, die Röte steigt ihnen ins Gesicht, das Herz schlägt sehr schnell, "rast" buchstäblich, Wasser lagert sich im Gewebe ein, es kommt zu Juckreiz.

Doch wie kommt es dazu, dass sich zu große Histaminmengen im Körper ansammeln? Zum einen kann der Abbau des Enzyms gestört sein, und zum anderen gibt es histaminhaltige Nahrungsmittel. Normalerweise nehmen wir mit dem Essen Histaminmengen auf, die noch unter dem problematischen Schwellenwert liegen. Wer jedoch, wie ein knappes Prozent der Bevölkerung, an einem Histaminintoleranzsyndrom leidet, bekommt schon bei kleineren Mengen ein Problem.

Histamin kann sich beim Essen aufsummieren. "Genau das passiert beispielsweise, wenn jemand ein Glas Rotwein mit lang gereiftem Käse, obendrauf Walnüsse, etwas Wurst und Thunfisch und zur Abrundung noch eine Orange genießt", warnt Klimek. "Diese Lebensmittel enthalten nämlich eine erhebliche Menge an Histamin. Für Menschen, die ein Histaminintoleranzsyndrom haben, können sie akut zum Problem werden."

Deshalb heißt es aufpassen. Der Haken: Es ist leider nicht ganz einfach, den Histamingehalt bestimmter Nahrungsmittel einzuschätzen. Er hängt nämlich vom Reifegrad, der Lagerungsdauer und dem Verarbeitungsprozess ab. Deshalb kann er stark schwanken.

Was den Histaminabbau anbelangt: Manche Menschen haben einen Enzymmangel – wenn es ganz dumm läuft, zusätzlich zu einer Allergie, die Histamin aus Körperzellen freisetzt. Aufgrund des Enzymmangels staut sich das Histamin auf. Wird dann die individuelle Histaminschwelle eines Menschen überschritten, kommt es zu allen Symptomen, die auch bei einer Allergie auftreten können. "Meist ist das jedoch ungefährlich und geht weg, sobald die Reizung abklingt", beruhigt der Allergologe Klimek.

Fragwürdige Diagnosewege

"Wer eine Histaminintoleranz hat, leidet sehr. Zum einen wegen möglicher Folgebeschwerden, zum anderen weil die Betroffenen bei der Lebensmittelwahl sehr vorsichtig sein müssen", sagt Klimek. "Um einigermaßen auf der sicheren Seite zu sein, müssen sie histaminreiche Nahrungsmittel weitestgehend meiden."

Aber haben alle Menschen, die glauben am Histaminintoleranzsyndrom zu leiden, auch tatsächlich eine Histaminintoleranz? "Nein, es hat sich in den vergangenen Jahren zur Modeerkrankung entwickelt", so der Wiesbadener Mediziner. "Die Zahl der Betroffenen wird überschätzt, weil es aufgrund einfacher Apothekentests ohne wissenschaftliche Grundlage oder unzureichender Testverfahren selbsternannter Experten vermehrt zu Fehldiagnosen kommt."

Bei manchen Tests sind kleine Stuhlproben einzuschicken, um im Labor die darin enthaltene Histaminmenge zu messen. Laut der Leitlinie zur Histaminunverträglichkeit ist die Aussagekraft der als krankhaft eingestuften Histaminmengen im Stuhl aber fragwürdig, weil inzwischen bekannt ist, dass die Darmbakterien, und hier insbesondere Laktobazillen, große Histaminmengen produzieren. Und ein Teil dieser Bakterien in der Darmflora kann auch Histamin abbauen und sich somit ausgleichend auf das Immunsystem auswirken. Derlei Tests ärgern Klimek ziemlich. "Es kommt zu nutzlosen Diätempfehlungen, die für die Patienten sehr belastend sind und teilweise über Jahre gehen. Und die eigentlichen Ursachen bleiben derweil unbehandelt."

Fachliche Expertise wichtig

Um eine Diagnose stellen zu können, ist es wichtig, den Stoffwechsel mit wissenschaftlich-fundierten Tests genau zu untersuchen. "Das kann jedoch eine sehr aufwendige Prozedur sein", weiß Klimek.

Die alleinige Messung des histaminabbauenden Enzyms Diaminoxidase, kurz DAO, im Blut ist nach aktueller Datenlage nicht aussagekräftig. Werden dagegen mehrere Stoffwechseltests kombiniert oder wird die Wirkung von Histamin an der Darmschleimhaut gemessen, ist die diagnostische Aussagekraft höher.

Hat der Arzt den Verdacht, dass es sich um eine Histaminintoleranz handelt, kann auch ein Provokationstest mit Histamin weiterhelfen. "Wenn man die diagnostischen Möglichkeiten richtig nutzt und herausfindet, welches Problem bei einem Menschen vorliegt, dann ist es möglich, ein zielgerichtetes Behandlungskonzept zu entwickeln", sagt Ludger Klimek. Dazu gehört neben geeigneten Medikamenten eine professionelle Ernährungsberatung. Im Mittelpunkt steht nämlich die Vermeidung problematischer Lebensmittel, die beim Patienten den Histaminstoffwechsel überlasten. "Besteht die Überlastung nicht, dann kann man auch mit einer Histaminintoleranz ein ganz normales Leben führen."

In manchen Fällen gehören auch eine Immuntherapie und Desensibilisierung zum Gesamtkonzept dazu. Denn der Mensch produziert ja auch selbst große Histaminmengen. "Es gibt Patienten, die Heuschnupfen oder andere Allergien haben und sie aber nicht sonderlich ernst nehmen. Dabei setzt der Körper wegen dieser Allergien Histamin frei", weiß Klimek. "Wird dann zugleich auch noch vermehrt Histamin über die Nahrung aufgenommen, kann eine an sich gar nicht schlimme Allergie das Problem einer Histaminintoleranz verstärken". Und womöglich einen völlig unerwarteten Asthmaanfall auslösen.

Das richtige Enzym substituieren

Ist der Histaminabbau wegen eines Mangels an dem Enzym DAO gestört, sodass es sich allein schon deshalb im Körper ansammelt, wäre es natürlich schön, wenn man dem Prozess neuen Schwung verleihen könnte, indem man das Enzym einnimmt. Das zu diesem Zweck in der Apotheke frei verkäufliche Präparat Daosin verspricht genau das, es enthält den Stoff in Tablettenform und soll eine Viertelstunde vor dem Essen eingenommen werden.

Experte Klimek ist allerdings nicht gänzlich überzeugt. Zum einen sei die Menge des Enzyms, die in der Darmschleimhaut ankomme, gering. Zum anderen bezweifelt Klimek, dass das Mittel insgesamt einen relevanten Effekt auf den Histaminabbau habe. "Es mag Patienten geben, denen das hilft, weil bei ihnen diese DAO-Menge reicht und weil sie hauptsächlich Darmbeschwerden haben."

Das betreffe aber die wenigsten. Daosin soll man laut Klimek – wenn überhaupt – nur dann verwenden, wenn sicher ist, dass den Betroffenen tatsächlich exakt dieses Enzym fehlt. Nicht selten liege das Problem darin, dass das zweite Enzym fehle. Es ergebe deshalb mehr Sinn, ein klassisches Antihistaminikum einzunehmen – zumal es laut Klimek schneller wirkt.

Was noch gut zu wissen ist: Wer oft schwarzen Tee oder Mate-Tee trinkt, hat weniger aktives DAO. Beide Teesorten hemmen das Enzym Diaminoxidase. Also besser darauf verzichten, wenn man Probleme rund um Histamin hat. Aber es gibt auch eine gute Nachricht für Weintrinker mit Histaminproblem: Inzwischen gibt es Weingüter mit histaminfreien Weinen. (Gerlinde Felix, 28.5.2022)