Impfungen schützen zwar vor Long Covid, aber deutlich weniger gut, als man bisher angenommen hat.

Reuters / Leonhard Föger

Covid-19-Erkrankungen, die nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 wochen- oder monatelang andauern, sind für Wissenschaft und Medizin nach wie vor eine Herausforderung. Das hat vor allem damit zu tun, dass Long Covid aufgrund der Vielzahl der Symptome schwer zu definieren ist. Unklar ist deshalb auch, wie häufig dieses Krankheitsbild vorkommt.

Aus einigen Studien konnte man schließen, dass Long Covid bei bis zu 30 Prozent der mit dem Virus infizierten Personen auftritt. Ganz so schlimm dürfte es zum Glück nicht sein: Eine im November durchgeführte Studie mit etwa 4,5 Millionen Menschen, die in Krankenhäusern des US-Department of Veterans Affairs (VA) behandelt wurden, deutet darauf hin, dass der Anteil der Long-Covid-Parientinnen und -Patienten bei rund sieben Prozent liegt und damit niedriger ist als der Anteil der Infizierten (mehr als zehn Prozent), die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Größte Studie über Long Covid

Eine weitere offene Frage ist, ob Long Covid nach einer sogenannten Durchbruchsinfektion – also bei geimpften Personen, die sich dennoch infiziert haben – weniger wahrscheinlich ist als bei Ungeimpften. In einer Studie, die diese Woche im Fachblatt "Nature Medicine" veröffentlicht wurde, untersuchte ein Team um Ziyad Al-Aly (VA Saint Louis Health Care System in St. Louis, Missouri), das auch die Studie vom November verfasst hatte, die Gesundheitsakten der VA-Spitäler von Jänner bis Dezember 2021, also noch vor Omikron.

Darunter waren etwa 34.000 geimpfte Personen, die eine Sars-CoV-2-Infektion hatten, 113.000 Personen, die infiziert, aber nicht geimpft waren, sowie mehr als 13 Millionen Personen, die nicht infiziert worden waren. Das ist damit die bislang größte Studie über Long Covid. Die Forschenden fanden dabei heraus, dass die Impfung die Wahrscheinlichkeit von Long Covid bei Infizierten nur um etwa 15 Prozent verringern dürfte. (Dazu kommt freilich noch das verringerte Risiko, überhaupt an Covid-19 zu erkranken.)

Abweichende Ergebnisse

Dies steht im Gegensatz zu früheren, kleineren Studien, in denen wesentlich höhere Schutzraten festgestellt wurden. Es ist auch eine Abweichung von einer anderen großen Studie, in der Auskünfte von 1,2 Millionen britischen Smartphone-Nutzern analysiert wurden und die ergab, dass zwei Dosen eines Covid-19-Impfstoffs das Risiko von Long Covid halbierten, das womöglich durch Virusreste im Darm mitverursacht wird.

Das Autorenteam der jüngsten Studie verglich auch Symptome wie "Brain Fog" und Müdigkeit bei geimpften und ungeimpften Personen bis zu sechs Monate, nachdem sie positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden. Das Team fand zudem keinen Unterschied in Art oder Schwere der Symptome zwischen geimpften und ungeimpften Personen.

Der begrenzte Schutz, den Impfstoffe bieten, bedeutet, dass die Rücknahme von Maßnahmen wie Maskenpflicht und sozialdistanzierende Beschränkungen also vermutlich noch mehr Menschen gefährdet – insbesondere solche mit geschwächtem Immunsystem. "Wir sind buchstäblich nur noch auf den Impfstoff angewiesen, um uns und die Öffentlichkeit zu schützen", sagt Al-Aly auf Nachfrage von "Nature News". Jetzt sehen wir, dass der Impfstoff sie nur zu 15 Prozent vor Long Covid schützt.

Wichtige Einschränkungen

Steven Deeks, HIV-Forscher an der University of California, San Francisco, der nicht an der Studie beteiligt war, weist im Bericht von "Nature News" darauf hin, dass die Studie noch keine Daten von Menschen enthält, die mit der Omikron-Variante infiziert waren. "Wir haben keine Daten darüber, ob Omikron Long Covid verursacht", sagt der Fachmann. Die Ergebnisse, fügt er hinzu, "gelten für eine Pandemie, die sich dramatisch verändert hat".

Deeks ergänzt jedoch, dass die Ergebnisse darauf hindeuten, dass die Erforschung von Long Covid und die Entwicklung von Therapien beschleunigt werden müssen. "Wir haben keine Definition, wir haben keinen Biomarker, wir haben keinen bildgebenden Test, keinen Mechanismus oder eine Behandlung", sagt er. "Wir haben nur Fragen." (tasch, 29.5.2022)