Die Fellows eines Programms für Kunst und Theorie beschäftigen sich mit hochaktuellen Debatten.
Foto: Daniel Jarosch

Das Agassizhorn in den Berner Alpen ist nach einem Gletscherforscher benannt. Und nach einem Rassisten. Der Schweizer Louis Agassiz (1807–1873) tat sich nach seiner Auswanderung in die USA als Rassentheoretiker hervor, trachtete danach, die Minderwertigkeit der "schwarzen Rasse" wissenschaftlich zu beweisen, und befürwortete die Sklaverei. Seit Jahren gibt es deshalb die Forderung, das Agassizhorn umzubenennen – und zwar in Rentyhorn, in Anlehnung an den aus dem Kongo verschleppten Sklaven Renty, den Agassiz für seine Studien fotografieren ließ. Rentys Nachfahrinnen kämpften vor Gericht um die Herausgabe dieser Daguerreotypien durch die Harvard University, auch davon erzählt die schweizerisch-haitianische Künstlerin Sasha Huber, die sich seit langem mit dem Fall beschäftigt.

Erinnerungsarbeit, umstrittene Denkmäler, Dekolonialisierung, mögliche Gesten der Entschuldigung: Die Debatten darüber sind hochaktuell, die Kuratorin und Kunsttheoretikerin Suzana Milevska untersucht künstlerische Strategien, mit denen ihnen begegnet wird. Zuletzt tat sie das im Innsbrucker Künstlerhaus Büchsenhausen, das ein Fellowship-Programm für Kunst und Theorie unterhält. Speziell die Theorie zu vermitteln, ist die nicht ganz leichte Übung in der Abschlussausstellung der Fellows, derzeit in der Neuen Galerie in der Hofburg zu sehen. Man mache sich auf viel Frontalvortrag, Lesestoff und Recherchematerialien gefasst.

Beim Barte der Identitäten

Marmelade gibt es aber auch. Sie fand bei Rosalyn D’Mello Eingang in einen Almanach der vernachlässigten Künste sogenannter Hausfrauen, Mystikerinnen und "alter Jungfern". D’Mello stammt aus Mumbai, ist feministische Autorin und Kunstkritikerin und machte vor einigen Jahren mit ihren Memoiren A Handbook for My Lover Furore. Seit kurzem lebt sie in Südtirol. Für ihren Ausstellungsbeitrag lud sie Künstlerinnen wie Marlene Hausegger zur Mitarbeit ein, herausgekommen ist dabei die Replik einer "Gebärmutterkröte". Die volkstümliche Votivgabe macht anschaulich, wie Mann sich im Mittelalter (und darüber hinaus) die weibliche Anatomie vorstellte: der Uterus als ein nach Befruchtung gierendes, archaisches Krötenwesen.

Auf den katholischen Volksglauben greift auch Sam Richardson zurück: Die Figur der Heiligen Kümmernis, die als gekreuzigte Frau mit Bart dargestellt wird, wird bei Richardson zur Identifikationsfigur und zum Ausgangspunkt für fotografische und performative Erkundungen der eigenen Geschlechteridentität und der gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen. Hier greift auch der Ausstellungstitel Corporeality Repair Conciliation, bei Olga Ştefan greifen Holzschnitte, die rumänischstämmige, jüdische Künstlerinnen und Künstlern während des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Vapniarka geschaffen haben, auf beklemmende Art in die Gegenwart aus. Und apropos "Conciliation", auf Deutsch Schlichtung: In der Schweiz wurde die Umbenennung des Agassizhorns abgelehnt. (Ivona Jelčić, 28.5.2022)