Vor dem Gerichtsgebäude in Uvalde wird der Opfer des Amoklaufs gedacht.

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Es sind 90 Minuten, die die USA seit Tagen beschäftigen. Jene 90 Minuten, in denen sich ein 18-Jähriger aus dem texanischen Uvalde in der dortigen Robb Elementary School aufhielt und 19 Schulkinder sowie zwei Lehrkräfte erschoss. Wegen dieser 90 Minuten gerät nun auch die örtliche Polizei zunehmend unter Druck.

Eltern werfen den Einsatzkräften vor, zu lange untätig gewesen zu sein und nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben. Die Behörden bestätigten, dass die Polizei innerhalb weniger Minuten vor Ort gewesen sei; aber auch, dass der Schütze rund eine Stunde in dem Klassenzimmer verbracht habe, in dem er die Kinder und Lehrerinnen tötete.

Warten auf Spezialkräfte

Auf die Frage, warum die Polizei nicht direkt versucht habe, in den Klassenraum einzudringen, sagte Victor Escalon vom Ministerium für öffentliche Sicherheit in Texas, es habe den Polizisten an Spezialausrüstung gefehlt. Die Tür sei "verbarrikadiert" gewesen. Die Polizei habe dann Verstärkung angefordert. Außerdem habe sie versucht, mit dem Schützen zu verhandeln. Dieser habe einen Großteil der Schüsse ganz zu Anfang abgefeuert. "Während der Verhandlungen wurde nicht viel geschossen, außer dass er versuchte, die Polizisten auf Abstand zu halten", sagte Escalon. Nach rund einer Stunde seien Spezialkräfte eingetroffen, die den 18-Jährigen erschossen hätten.

"Ich habe einem der Beamten selbst gesagt, wenn sie nicht reingehen wollen, solle er mir seine Waffe und eine Weste leihen – und ich würde selbst reingehen, um die Sache zu regeln", sagte Victor Luna dem Sender CNN. Sein Sohn Jayden habe das Massaker überlebt. Die Polizei habe ihren Job gemacht, sagte Luna; aber sie hätte ihn schneller erledigen können.

Behörde räumt schwere Fehler ein

Am Freitagnachmittag hat die zuständige Sicherheitsbehörde schwere Fehler bei dem Einsatz eingeräumt. Es sei falsch gewesen, nicht früher in den Klassenraum einzudringen, in dem sich der Amokläufer mit Schülern und Lehrern verschanzt hatte, sagte der Direktor der Behörde für öffentliche Sicherheit in Texas, Steven McCraw. "Es war die falsche Entscheidung. Punkt", sagte McCraw. "Dafür gibt es keine Entschuldigung."

Der Ehemann einer der beiden getöteten Lehrerinnen starb nach dem Besuch einer Gedenkstätte für die Opfer von Uvalde. US-Medien zufolge erlag er einem Herzinfarkt.

Unterdessen kam nur 450 Kilometer östlich am Freitag die National Rifle Association (NRA) im ebenfalls texanischen Houston zu ihrer Jahrestagung zusammen. Auf der Rednerliste standen prominente Republikaner wie Ex-Präsident Donald Trump oder der texanische Senator Ted Cruz. Ausgerechnet bei der NRA-Tagung wurde vorab ein Waffenverbot während der Trump-Rede erlassen – auf Anweisung seiner Sicherheitsleute.

Absagen für die NRA

Greg Abbott, Gouverneur von Texas, sagte seine Teilnahme hingegen ab. US-Medienberichten zufolge wollte er bei einer Pressekonferenz in Uvalde zugegen sein und sich mit einer Videobotschaft an die Teilnehmer der NRA-Versammlung wenden. Auch Musiker wie Don McLean (American Pie) sagten ihre Auftritte beim Treffen der Waffenlobby nach dem Blutbad ab.

Bei einem Auftritt Abbotts zu dem Amoklauf in Uvalde war es am Mittwoch zu einem Eklat gekommen: Der Demokrat Beto O'Rourke hatte die laufende Pressekonferenz unterbrochen und Abbott für seine Haltung zu den Waffengesetzen im Land kritisiert. O'Rourke, der im November bei der nächsten Gouverneurswahl in Texas als Herausforderer gegen Abbott antreten will, warf dem Republikaner vor, nichts gegen die grassierende Waffengewalt in den USA zu unternehmen.

US-Präsident Joe Biden, der am Sonntag nach Uvalde reist, hatte nach dem Massaker gesagt: "Als Nation müssen wir uns fragen, wann wir in Gottes Namen der Waffenlobby die Stirn bieten werden." Immer wieder hatten demokratische Präsidenten wie etwa Bill Clinton oder Barack Obama nach Amokläufen um eine Verschärfung des Waffenrechts gekämpft, doch sie scheiterten stets am harten Widerstand der Republikaner und der Waffenlobby. (Flora Mory, Kim Son Hoang, APA, 27.5.2022)