Sie reichen weit über die Knie und sehen aus wie Anglerstiefel. Laufen ist in den Gummischuhen von Balenciaga fast unmöglich. Ashley Hans Scheirl versenkt ihre Füße als Erste in ihnen, watet durch den Ausstellungsraum, macht es sich auf einem Panton Chair gemütlich und posiert schon einmal. Sofern das mit den überlangen Teilen überhaupt möglich ist. Die Künstlerin kann kaum die Beine anwinkeln, die Begeisterung über die schwarzen Quadratlatschen ist trotzdem groß.
Jakob Lena Knebl findet die Stiefel gar "derb erotisch". Zu den Designerstücken kombinieren die Künstlerinnen Blumenkleider und -oberteile aus ihrer eigenen Kollektion. 15 Looks haben sie gemeinsam mit dem Designer Martin Sulzbacher konzipiert – er hat in den vergangenen Jahren für Modehäuser wie Jil Sander, Loewe oder Lanvin gearbeitet.
Die Entwürfe wurden in den vergangenen Monaten ebenso konsequent entwickelt wie die Arbeiten für den Biennale-Pavillon und die Außenstelle in der österreichischen Bundeshauptstadt. Während der Corona-Zeit habe man sich wöchentlich zu Fittings im Garten getroffen, erzählt Sulzbacher.
Gesamtkunstwerk
Die Mode ist fester Bestandteil der Arbeit der Biennale-Künstlerinnen, ein Teil der Kollektion war bereits in einem Seventies-Editorial für die Kunstschau zu sehen. Knebl, Jahrgang 1970, hat Modedesign und textuelle Bildhauerei studiert. Und sie ist schon lange fasziniert von der Idee des Gesamtkunstwerks. Mit Identitäts- und Körperfragen hat sie sich schon auseinandergesetzt, bevor diese Themen in Kunst und Mode mainstreamtauglich wurden.
Bereits vor zehn Jahren ließ die Künstlerin sich eine Variation von Piet Mondrians "Komposition aus Rot, Blau, Weiß" auf den nackten Körper pinseln. Oder zitierte sie damals doch Yves Saint Laurents Mondrian-Kleid von 1965? 2017 warf die gebürtige Badenerin im Rahmen ihrer Einzelausstellung im Wiener Mumok Giacometti-Skulpturen Kleider über. Die Hierarchie zwischen Kunst und Mode bestehe noch immer, doch es habe sich viel verändert, meint Knebl. Davon zeugten große Ausstellungen, die Mode und Kunst verschränkten. Und natürlich Designerinnen und Designer wie Maarten Baas oder Martin Margiela sowie Künstlerinnen wie Josephine Meckseper und Francis Upritchard, die Grenzen überschritten.
Auch in der Welt des Duos hängt irgendwie alles zusammen, von der Wandtapete bis zu den wattierten Händen, die Jakob Lena Knebl über einem Kleid trägt: Das Team, das Knebls Soft Sculptures gefertigt hat, hat teilweise auch die Kollektion genäht. In einigen dieser Kleider ist das Paar öffentlich aufgetreten, während der trubeligen Eröffnungstage in Venedig zum Beispiel. Davon zeugt auf Knebls Instagram-Account ein gemeinsames Porträt mit ihrem ehemaligen Professor Raf Simons.
Mode aus dem Koffer
Für das RONDO-Shooting werden an diesem Vormittag wieder andere Kleider aus riesigen Rollkoffern gezogen. Knebls und Scheirls Looks sind penibel aufeinander abgestimmt. Zur Vorbereitung auf die Fotostrecke wurden die Looks mit dem Smartphone festgehalten. Am Set werden die Kollektionsteile mit Stücken (wie einem Margiela-Gürtel, Seite 35) aus dem privaten Modearchiv der Künstlerin gemischt. Neben aktueller Designerware werden Secondhand-Teile, die Sulzbacher, Knebl und Scheirl für das Shooting gekauft haben, verwendet.
Deren subversives Potenzial bereitet den Künstlerinnen besonderen Spaß: Seitlich geschlitzte Caprihosen aus Denim, eine Lederjacke aus den 1980ern und zwei T-Shirts, auf denen der Schriftzug "Hello Paris" funkelt. 2023 werden die Österreicherinnen, die sich in einem Fenster selbstironisch im "Touri-Look" inszenieren (oben rechts), gemeinsam eine Einzelausstellung im Pariser Ausstellungshaus Palais de Tokyo eröffnen.
Vertrautes Team
In Wien vor dem Phileas Art Space werden aber erst einmal gemeinsame Rauchpausen eingelegt. Es ist zu großen Teilen ein vertrautes Team, das vor der Biennale-Dependance in Wiens erstem Bezirk zusammensteht: Mit Martin Sulzbacher und Markus Pires Mata hat Knebl Mitte der Nullerjahre das Label House of the Very Island gegründet, damals studierten sie noch an der Modeklasse der Angewandten. Für die Biennale in Venedig arbeitete man nun wieder zusammen: "Es war wie vor 15 Jahren: Wo wir aufgehört haben, haben wir wieder angefangen", sagt Sulzbacher.
Ashley Hans Scheirl hingegen gibt freimütig zu, vor ihrer Zusammenarbeit und der Beziehung mit Knebl "keine Ahnung von Mode" gehabt zu haben. Kleidung sei ihr immer wichtig gewesen, das System "Mode" aber habe sie nie interessiert. Während des Shootings ist von Scheirls früherer "Aversion gegen Hochglanzfotografie" wenig zu spüren. Die Künstlerin legt die Geduld eines Fitting-Models an den Tag.
Und wie Jakob Lena Knebl hat sie Spaß an der Verwandlung, an falschen Wimpern und Nägeln, an Outfitwechseln. "In meinen alten Tagen noch Model zu werden gefällt mir", sagt die 66-Jährige. Oft nutzt die Künstlerin die Fotografien als Vorlagen, um sich und Knebl – und damit die Mode – in ihre Bildkompositionen hineinzumalen. Wer weiß, vielleicht lassen sich die Bilder für das RONDO ja demnächst in ihren Arbeiten wiederentdecken. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 15.6.2022)