Gustavo Petro kann auf die Stimmen der Jungen zählen.

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Gustavo Petro ist ein schmächtiger Intellektueller mit Brille, vor dem gerade ein ganzes Land erzittert. Der 62-Jährige gute Chancen, bei der Wahl am Sonntag der nächste Präsident Kolumbiens zu werden. In Umfragen liegt der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá seit Monaten konstant vorn.

Petros wichtigster Herausforderer ist der konservative ehemalige Bürgermeister von Medellín, Federico Gutiérrez, gefolgt vom rechtspopulistischen selbsternannten Korruptionsbekämpfer und Multimillionär Rodolfo Hernández.

Ein Sieg von Petro, von Vize-Kandidatin Francia Márquez und ihres linken "Pacto Histórico" wäre eine kleine Revolution für das Andenland, das seit Jahrzehnten als Bastion einer konservativen Elite gilt. 1948 wurde der sozialistische Politiker Jorge Eliecer Gaitán im Wahlkampf ermordet – was der Auftakt war für einen blutigen Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen, der in einen über 50 Jahre andauernden Bürgerkrieg mündete und soziale Reformen ausbremste. Jeder, der progressive Forderungen äußerte, wurde in die Nähe der Guerilla gerückt und musste um sein Leben fürchten. Erst 2016, nach über 267.000 Toten und acht Millionen Binnenflüchtlingen, gelang ein Friedensschluss zwischen dem Staat und der linken Farc-Guerilla.

Hilfe der Jungen

Dass Petro, 2018 unterlegen, diesmal Chancen auf den Sieg hat, verdankt er vor allem der katastrophalen Bilanz des konservativen Präsidenten Iván Duque. Der konnte weder wirtschaftlich punkten noch bei der Sicherheitspolitik. Die Drogenmafia baute ihre Kontrolle in zahlreichen Regionen aus. Korruptionsskandale und interne Streitigkeiten lähmten das Regierungslager, das die Umsetzung des Friedensabkommens sabotierte. Die Studentenproteste 2019 ließ Duque brutal niederknüppeln. Dank der Jungen wurde der Pacto Histórico bei der Parlamentswahl im März zur stärksten Kraft im Senat, zur zweitstärksten im recht zersplitterten Kongress.

Petro, Nachkomme italienischer Einwanderer und Sohn eines Landschullehrers, gehörte einst der intellektuellen Stadtguerilla M-19 an. 1990 wechselte er in die Politik. Sein Sieg würde das Kräftegleichgewicht weiter nach links verschieben. Die USA verlören ihren engsten Verbündeten in Lateinamerika.

Entsprechend blank liegen die Nerven. Man wolle ihn ermorden, erklärte Petro unlängst und warnte, die Regierung wolle die Wahlen absagen. Das sei völliger Unsinn, entgegnete sein Rivale Gutiérrez, der Petro gerne als sozialistischen Kinderschreck porträtiert. "Der einzige, der jemals Attentate auf die Demokratie verübt hat, war Petro." Der tritt inzwischen nur noch mit Sicherheitsaufgebot und in kugelsicherer Weste auf.

Distanz zu Caracas

Petro liebäugelte lange mit dem venezolanischen Sozialismus, distanzierte sich nun jedoch davon und tritt deutlich moderater auf. In seinen Reden mischt er populistische, ökologische und sozialistische Ideen. Vom Kreuzzug gegen eine Oligarchen-Elite ist ebenso die Rede wie von grüner Energie und dem Ende der Rohstoffausbeutung. Reiche will er besteuern, den Ärmsten verspricht er billige Kredite.

Ein wichtiges Element am Sonntag dürfte die Wahlbeteiligung sein. Traditionell spielen dabei einflussreiche Lokalfürsten eine wichtige Rolle. Über Stimmenkauf und das Ankarren von Wählern können sie besonders bei knappen Ergebnissen wahlentscheidend sein. Besorgnis über die Sicherheit am Wahltag gibt es ebenfalls in einigen Regionen. (Sandra Weiss aus Puebla, 28.5.2022)