"Die Polizei sieht nix im Internet", schließt Jan Böhmermann aus seiner Recherche.

Foto: ZDF Magazin Royale Screenshot

Mainz – Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" stellte die deutsche Polizei in einer aufwändigen, über viele Monate angelegten Recherche auf die Probe: Wie geht sie mit Anzeigen wegen Hasskommentaren um? Böhmermanns – gesungenes – Fazit am Freitagabend: "Die Polizei sieht nix im Internet." Eine Spur eines besonders gewalttätigen Tweets führte übrigens nach Österreich.

Die Redaktion des "ZDF Magazin Royale" schickte am 3. August 2021 16 Menschen gleichzeitig und mit Protokollen und Videos dokumentiert in Polizeidienststellen in allen 16 deutschen Bundesländern, um insgesamt sieben Fälle strafrechtlich relevanter Fundstücke von Telegram, Facebook und Twitter anzuzeigen, darunter Hakenkreuze, "Sieg Heil", "Meine Ehre heißt Treue", Gewalt- und Morddrohungen gegen Juden, Türken oder auch persönlicher Natur wie: "Ich schlitz dich auf, koche deine Organe und schicke sie deiner Mum, du obdachloser Bastard."

"Österreich, Mutterland charmanter Morddrohungen"

Nur eine der 16 Polizeibehörden kam bei diesem Gewalttweet zu einem Ermittlungsergebnis, wie Nachfragen quasi unter Klarnamen als "ZDF Magazin Royale" ergaben. Hier führte die Spur nach Österreich, dem – so Böhmermann – "Mutterland charmanter Morddrohungen, halli, hallo, Östereich!" Über eine allfällige Verfolgung in Österreich äußerte sich Böhmermann in der Sendung nicht.

  • Update 30.5.2022: Die Staatsanwaltschaft Hannover erklärt auf STANDARD-Anfrage nach dem Ermittlungsstand zu dem Posting aus Österreich: "Die Ermittlungen in dem angesprochenen Ermittlungsverfahren dauern hier derzeit noch an. Eine Kontaktaufnahme zu den österreichischen Behörden ist noch nicht erfolgt."

Die übrigen Dienststellen hätten nach den Rechercheergebnissen des Magazins zu den drei angezeigten Tweets nicht oder ohne Ergebnis ermittelt. Die Polizei verfolge Hassnachrichten auf Twitter durchaus, erinnerte Böhmermann – als ein User auf einen Tweet des Hamburger Innensenators Andy Grote antwortete mit "Du bist so ein Pimmel", reagierte die Polizei mit einer Hausdurchsuchung.

"Haben Sie keine andere Sorgen?"

Manche Dienststellen beziehungsweise ihre Beamten ließen erst gar keine Anzeige zu: In Sachsen-Anhalt etwa gelangte die Mitarbeiterin des Magazins nicht einmal in die Dienststelle, ein Beamter kam heraus, um sie abzuwimmeln. Laut "ZDF Magazin Royale" mit Aussagen wie: "Haben Sie keine anderen Sorgen?". Strafbar seien die vorgelegten Posts, "aber das ist doch keine Polizeiarbeit". Anzeige könne man nicht erstatten, sonst "würden Sie da hinten ja Schlange stehen". Und: "Wenn hier jeder kommt, der Hasskommentare sieht..."

Inzwischen ermittelten laut "ZDF Magazin Royale" Staatsanwaltschaften und Polizei wegen dieses Vorfalls gegen den Beamten beziehungsweise die Polizei, ebenso in anderen Bundesländern. In Leipzig erklärte die Polizei auf Nachfrage, solche Anfragen seien nie aufgegeben worden. In Mecklenburg-Vorpommern hieß es beim Anzeigeversuch: "Wir geben das jetzt an die Kripo. Es kann natürlich sein, dass das im Papierkorb landet."

Klarnamen-Account nicht ermittelbar

Ein angezeigtes Facebook-Posting mit der Aufforderung, Türken gehörten "auf die Streckbank", kam laut Böhmermanns Team von einem Account mit Klarnamen, Selfies und Selfie-Videos. Immerhin sieben von 16 regionalen Polizeibehörden konnten den Mann identifizieren, berichtete Böhmermann. Berlin, Hamburg und Thüringen würden seit der Anzeige nach eigenem Bekunden noch ermitteln. Und Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt hätten die Strafanzeigen gar nicht erst entgegengenommen.

Zum angezeigten Hakenkreuz auf Telegram gaben Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein auf Nachfrage des Magazins nach neun Monaten an, sie hätten das Ermittlungsverfahren eingestellt, weil der Täter nicht zu ermitteln sei. In Baden-Württemberg war der Täter unterdessen schon ausgeforscht, angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt, berichteten die dortigen Behörden auf Anfrage des Magazins.

Die Redaktion des "ZDF Magazin Royale" dokumentierte ihre aufwändige Recherche über die Bereitschaft deutscher Polizeidienststellen, Hasskommentare im Internet zu verfolgen, auf einer eigenen Webseite – tatütata.fail. Dort heißt es: "Wo die deutsche Polizei bei der Verfolgung von Hass im Netz versagt."

Die Sendung "404: polizei not found" finden Sie hier in der ZDF-Mediathek und hier im Youtube-Channel des Magazins. (fid, 28.5.2022)