Ruben Östlund freut sich.

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Das große Finale des 75. Filmfestivals von Cannes stand im Zeichen von Eseln, Küssen und einer grell-derben Satire, die die Goldene Palme gewann. Der schwedische Regisseur Ruben Östlund konnte nach seiner scharfsichtigen Komödie über den Kunstbetrieb, The Square (2017), bereits das zweite Mal den Hauptpreis entgegennehmen. Triangle of Sadness hatte die Kritik in Cannes allerdings eher polarisiert. Östlunds großes Talent für luzide Analysen liberaler Scheinheiligkeiten blitzt in dieser Klassen-Groteske über die Marotten und Arroganz von Superreichen nur gelegentlich auf.

The Upcoming

Der Film ist in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten geht es um ein Influencer-Pärchen, das sich über die Gleichstellung der Geschlechter in nächtlichen Debatten verliert. Teil zwei wird zur zwar souverän exekutierten, letztlich aber allzu einseitigen Attacke auf milliardenschwere Steuerverweiger auf einer Luxusyacht. Dort werden sie dann mit einer infernalischen Brechreizorgie bestraft. Im letzten und schwächsten Teil kommt es auf einer Insel zur Umkehrung vertrauter Hierarchien. Der Regisseur bekundete bei der Abschlussgala, mit voller Absicht einen großen Unterhaltungsfilm gedreht zu haben – mit "Inhalt, der zum Nachdenken anregt". Östlund war bei dieser Arbeit offensichtlich die Ausrichtung auf das große Publikum wichtiger als künstlerische Subtilität.

Spendable Jury

Mit den restlichen Entscheidungen zeigte sich die von Vincent Lindon geleitete Jury vor allem spendabel. Der französische Schauspieler verteilte Küsse – unter anderem an Carole Bouquet – genauso gern wie Preise: Gleich zwei Mal gab es einen Großen Preis der Jury, an Claire Denis’ Stars at Noon, ein freischwebend inszeniertes Politdrama in Nicaragua, in dem Margaret Qualley eine Journalistin verkörpert, die sich mit romantischem Geschick durch die Fronten bewegt. Lukas Dhonts Publikumsliebling Close, das intime Freitoddrama um eine Bubenfreundschaft, die am Anpassungsdruck der Gesellschaft zerbricht, erhielt den Preis ex aequo. Auch der Preis der Jury wurde geteilt (Eo und Le otto montagne), das war insgesamt schon etwas zu viel des Guten: Hier kommen die Esel ins Spiel, die Jerzy Skolimowski für sein balladenhaftes, bildstarkes Tierdrama Eo gecastet hat und bei denen er sich bei der Abschlussgala bedankte, indem er die Namen aller sechs Darsteller nannte.

Überraschende Entscheidungen

Der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook gewann den Regiepreis für seinen stylischen Neo-Noir-Thriller Decision to Leave, der auf Hitchcocks Vertigo anspielt und dabei die Rolle der Femme fatale auf originelle Weise umkehrt. Überraschend war der Preis für die beste Schauspielerin, der an Zar Amir Ebrahimi, die iranische Hauptdarstellerin des Serienmörder-Dramas Holy Spider ging, einen Film, der kaum jemanden überzeugte hatte. Bester Schauspieler wurde Song Kang-ho, der großartige südkoreanische Menschendarsteller, der in Broker von Hirokazu Kore-eda einen emphatischen Babyhändlers spielt.

Drei herausragende Filme, die übergangen wurden, erzählen die andere Geschichte dieses Jahrgangs in Cannes: Albert Serras Postkolonialismus-Parabel Pacifiction, das epische, aufwühlende Familiendrama Leila’s Brothers von Saeed Roustaee und Kelly Reichardts fein gewobenes Porträt einer grantigen Bildhauerin (Michelle Williams) und einer füreinander sorgenden Künstlergemeinschaft, Showing Up – Filme, die mit Nuancierungen und originellen inhaltlichen Setzungen ihren Weltentwürfen Gehalt verleihen, sich damit aber nicht durchsetzen konnten.

Erfreulich, nicht nur aus österreichischer Sicht: Vicky Krieps wurde für ihre Rolle der Kaiserin Elisabeth in Marie Kreutzers Corsage in der Sektion "Un Certain Regard" als beste Darstellerin prämiert. (Dominik Kamalzadeh, 29. 5. 2022)