Das Politdrama "Maixabel" wurde unter Tränen und Applaus uraufgeführt. Ein großer Wurf.
Foto: Polyfilm

Drei Männer haben gerade in einem Lokal einen Mann erschossen. Im Fluchtauto lauschen sie alarmiert den Suchmeldungen des Polizeifunks. Plötzlich biegt vor ihnen ein Polizeiauto ein und fährt gemächlich vor ihnen her. Kurz vor der Autobahn überholt der Fluchtfahrer in einem riskanten Manöver. Die Kamera bricht aus der gespannten Situation des Fluchtautos aus und zeigt uns die beiden Fahrzeuge aus der Ferne – der Polizeifunk lag falsch, das Fluchtauto ist weiß, nicht schwarz. In diesem Moment korrigiert der Funk seine Suchmeldung, doch die Attentäter haben die Polizei bereits hinter sich gelassen. Das Attentat ist geglückt, sie sind voller Euphorie.

Parallel dazu sehen wir eine Frau, die sich im Bad die Haare föhnt. Das Telefon läutet einmal und verstummt. Dann läutet es noch einmal. Am Gesichtsausdruck der Frau im Spiegelbild sehen wir, dass sie Schreckliches befürchtet. Das Mordopfer war ihr Ehemann. Das Attentat kam nicht von ungefähr, er stand auf der Abschussliste der ETA, der Terrororganisation der baskischen Unabhängigkeitsbewegung. Trotzdem trifft der Schmerz Maixabel und die Tochter María, die gerade ihren 19. Geburtstag feiert, mit voller Wucht.

Die Regisseurin Icíar Bollaín ist eine bekannte Größe in Spanien – ihr gelingt es immer wieder, die gesellschaftlichen Brennpunkte ihres Heimatlandes in zugängliche und kluge Filme zu verpacken. Als Komödie etwa in Rosas Hochzeit, worin die Erwartungen an alleinstehende Frauen aufs Korn genommen wurden, und nun in dem mitreißenden Politdrama Maixabel.

Widerstand und Leid

Der Film basiert auf wahren Begebenheiten und Personen und wurde, wie El País schreibt, unter Tränen und Applaus beim San-Sebastián-Filmfestival im Baskenland uraufgeführt: Maixabel Lasa ist die Witwe von Juan María Jáuregui, einem ehemaligen baskischen Gouverneur, der 2000 von der ETA ermordet wurde. Anschließend bekleidete sie den Posten der Generaldirektorin einer Regierungsstelle für die Unterstützung der Opfer des Terrorismus und stand damit selbst auf der Attentatsliste der ETA. Doch Bollaín erzählt keine Heldinnengeschichte, vielmehr geht es ihr um die Aufarbeitung einer von Unabhängigkeitskämpfen, Terror, Widerstand und Leid geprägten Ära, die offiziell erst 2018, nach der Selbstauflösung der ETA, ein Ende fand.

Damit meidet Bollaín trockene historische Akkuratesse oder gar eintönige Schwarz-Weiß-Malerei. Stattdessen entwirft sie eine emotional packende und sensibel inszenierte Geschichte, die ein konkretes gesellschaftliches und historisches Trauma mit Drama- und Thrillerelementen gekonnt verwebt. Dabei fokussiert sie sich auf verschiedene Personen und die unterschiedlichen Arten ihrer Betroffenheit. Doch insbesondere die Art und Weise, wie sich Ibon Etxezarreta (Luis Tosar), einer der mittlerweile inhaftierten Attentäter, und Maixabel (Blanca Portillo) emotional dazu durchringen, sich bei einem Wiedergutmachungstreffen zu begegnen, ist großes Schauspiel und noch größeres Kino. (Valerie Dirk, 29.5.2022)