Die Sonderjustizanstalt Göllersdorf wartet seit Jahren auf eine Reform. Jetzt soll sie zum "forensischen Zentrum" ausgebaut werden.

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Viele Reformen wurden angekündigt, skandalöse Fälle fanden ihren Weg an die Öffentlichkeit, zwei Mal wurde die Republik für ihren Umgang mit psychisch kranken Rechtsbrechern vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verurteilt. Dennoch ist die Gesetzeslage zum sogenannten Maßnahmenvollzug seit gut 50 Jahren weitgehend unverändert.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat im Vorjahr eine Reform angekündigt. Doch seit Juli 2021 hat man von dem Vorhaben nichts mehr gehört. Am Mittwoch beantwortete Zadić eine parlamentarische Anfrage des Neos-Abgeordneten Johannes Margreiter, der sich fragt, was aus der Reform geworden ist. Die Beantwortung zeigt: Es wird noch dauern.

Die Reform sei ein "Herzensprojekt" von Ministerin Zadić, sagt ihr Pressesprecher Clemens Sampl. Doch in der Anfragebeantwortung findet sich nicht viel Neues zu ihrem aktuellen Stand. Die Reform ist in zwei Pakete geteilt, das erste wurde letztes Jahr vorgestellt, im Juli 2021 lief die Begutachtungsfrist aus. Vor einigen Wochen sei nun der überarbeitete Entwurf dem Koalitionspartner übermittelt worden, heißt es aus dem Justizministerium.

"Angesichts der Dringlichkeit des Problems ist mir diese schleppende Vorgangsweise völlig unverständlich", kritisiert Margreiter. An die 80 Stellungnahmen habe man nach der Begutachtung einarbeiten müssen, erklärt Sampl. Wie lange die Verhandlungen mit der ÖVP dauern werden und wann der zweite Teil der Reform kommt, ist offen.

Weniger Untergebrachte

In den Maßnahmenvollzug kommen Personen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig waren oder die Tat aufgrund des Krankheitsbildes begangen haben. Im Gegensatz zum normalen Strafvollzug ist die Haftzeit aber zeitlich unbegrenzt. Die "Maßnahme" dauert so lange, bis die Gefährlichkeit abgebaut ist. So kommt es oft dazu, dass Menschen wegen einer gefährlichen Drohung viele Jahre im Gefängnis verbringen.

Das will Zadić ändern. Denn aktuell sind 40 Prozent der Personen im Maßnahmenvollzug aufgrund solcher minderschweren Delikte dort untergebracht. Das führt dazu, dass die Anstalten so voll sind wie nie zuvor. 1426 Menschen sind dort aktuell – dreimal so viele wie noch vor 20 Jahren. In Zukunft soll man nur noch wegen Delikten in die Maßnahme kommen, die mit mindesten drei Jahren Strafe bedroht sind, nicht wie bisher mit mindestens einem Jahr – außer es besteht eine besondere Gefährlichkeit. Jugendliche sollen nur noch bei Delikten, die mit über zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, in die Maßnahme kommen können, zum Beispiel bei Mord oder Vergewaltigung.

Man will also die Sonderjustizanstalten entlasten. Jene Menschen, bei denen es aufgrund ihrer Gefährlichkeit notwendig ist, sollen im Maßnahmenvollzug bleiben. Jene, bei denen es nicht notwendig ist, sollen im regulären Gesundheitssystem versorgt werden, heißt es aus dem Justizministerium.

Personal gesucht

Das ist jedoch ein Punkt, der von Experten auch kritisch gesehen wird. "Unser Gesundheitssystem ist auf solche Patienten nicht vorbereitet. Die allgemeine und die forensische Psychiatrie haben sehr unterschiedliche Anforderungen", sagt Thomas Stompe, Psychiater und Oberarzt der Justizanstalt Göllersdorf. Man müsse also erst einmal geeignetes Personal für einen solchen Schritt ausbilden.

Um die Sonderjustizanstalten weiter zu entlasten, sollen zwei von ihnen stark ausgebaut werden. So soll Göllersdorf zu den aktuell 135 Betten 100 zusätzliche bekommen. "Das heißt aber auch, dass wir 60 bis 70 Prozent mehr Personal brauchen", sagt Stompe. "Ansonsten wird sich das negativ auf die Qualität der Arbeit auswirken." Man sei sich bewusst, dass es zusätzliches Budget brauche, heißt es aus dem Justizministerium.

Therapie statt Vollzug

"Menschenrechtlich geht das in die falsche Richtung. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Plätze in Anstalten", sagt Raoul Warnung, Jurist und Obmann des Vereins Recht und Gerechtigkeit im Maßnahmenvollzug. Stattdessen brauche es Therapie in betreuten Wohneinrichtungen. Die gibt es zwar auch jetzt schon, aber zu wenige und nur als Nachbetreuungseinrichtungen nach oft vielen Jahren Gefängnis.

Reformen im Hinblick auf Rechtsbrecher mit psychischen Erkankungen sind kein Thema, mit dem man Wählerstimmen gewinnt. Mehrere wurden bereits geplant und wieder fallengelassen. Zuletzt ein unter Experten weitgehend gelobtes Paket, das das Justizministerium unter Wolfgang Brandstetter (ÖVP) 2017 fertig ausgearbeitet hatte, die schwarz- blaue Regierung unter Sebastian Kurz aber nie umsetzte. 2015 und 2017 hat der EGMR den österreichischen Maßnahmenvollzug schon für menschenrechtswidrig erklärt. Das dritte Mal könnte bald folgen, denn eine neue Beschwerde ist anhängig. (Johannes Pucher, 30.5.2022)