Der "Wald" macht Schluss mit dem Blutsäufer (Alexander Hetterle als Macbeth). Das Dilemma: Es kommt niemand Besserer nach.

Foto: Herwig Prammer

Wie Aasvögel sitzen Schottlands König Duncan (Lutz Zeidler) und sein erstgeborener Sohn (Christian Taubenheim) auf einem Berg aus abgelegter Kleidung. Die immerwährende Schlacht um Schottlands Krone tobt, die Leichen dampfen in den Linzer Kammerspielen (Bühne: Momme Röhrbein). Doch in Heiner Müllers (1929–1995) greller Übermalung von Shakespeares Macbeth reizt das Elend die Schlächter bloß zum Lachen. Ein Lord ("Than") fährt dem anderen an die Gurgel. Auch das Leben von Bauern und Biedermännern, Damen und Säuglingen ist in dieser Knochenmühle keinen Pfifferling wert.

Entsetzt äußerten hohe DDR-Funktionäre anlässlich der Uraufführung 1972 ihr Unverständnis über so viel großzügig vergossenes Blut. Müller tauchte das Spiel der Mächtigen nicht allein in Rote-Rüben-Saft. Er schob den handelnden Personen die zynischsten Blankverse seit Menschengedenken zwischen die Zähne. Und so kann ein Bote (Kaspar Simonischek, der wunderbar begabte jüngste Spross der Schauspielerdynastie) mit viehischem Behagen von Metzeleien berichten – um gleich anschließend, vom Blut der Feinde bekleckert, nach hinten zu kippen. Der Mensch? Ist nicht nur des Mitmenschen Feind. Er scheint die ununterbrochene Ausübung des Mörderhandwerks obendrein noch zu genießen.

Kein Klassenkampf

Der inszenierende Schauspielintendant Stephan Suschke besitzt als hochverdienter Ex-Müller-Mitarbeiter alle Weihen der Authentizität. Der Dramatiker entwarf eben kein Stufenmodell von Klassenkämpfen, die einander nach Schema "HM" (wie "historischer Materialismus") ablösen sollen. Er legte einen beunruhigenden Kern bloß: Aus offenen Wunden quillt immer neues Blut. Ist die letzte, alles entscheidende Hemmschwelle erst überwunden, hindert nichts am Weitermetzeln. Man muss lediglich bereit sein, die moralische Deformation mit allen Folgeschäden zu akzeptieren. Darunter fällt, dass Macbeth die Wiederkehr des ermordeten Banquo (Alexander Julian Meile) als sein Privatgespenst erdulden muss.

Das außerordentliche Gelingen dieser rabenschwarzen Lehrstunde liegt denn auch in der grüblerischen Ruhe, die Macbeth (Alexander Hetterle), Schritt für Schritt den Berg der Macht erklimmend, an der Seite seiner scharlachroten Lady (Theresa Palfi) an den Tag legt. Suschke denkt keine Sekunde lang daran, mit dem Entsetzen Jux und Tollerei zu treiben. Eher schon betrachtet das traute, hochmörderische Paar die blutgefärbten Dolche, als handelte es sich bei den Mordwerkzeugen um Edelsteine.

Sieht man von etwas albernen Hexenszenen ab, so erhält man eine wirksame Lektion: über die Verstrickung in rohe Gewalt, die sich an sich selbst mästet. Zungen werden herausgerissen, Penisse extrahiert. Inmitten dieser Absurdität des Mordens findet Hetterle zu innerer wie äußerer Größe: Er schüttelt selbst den Lockenkopf über so viel Grausamkeit. Ein tadelloses Ensemble, mit Schauspielstudenten aufgefüllt, zeigt nicht etwa "Einverständnis" mit der Gewalt. Es bemüht aber auch keine Ausflüchte, bemäntelt die Exzesse nicht mit Kalenderweisheiten.

Es sind die "Bäume" des Waldes von Birnam, die zuletzt den Leichenkleiderberg erklimmen, um den Kriegerkönig Macbeth unter sich zu begraben. Die Ästhetik dieses Abends mag an die 1980er und 1990er gemahnen. Sie hält jedoch die notwendige Erinnerung wach: an den untröstlichen Humanisten mit dem deutschen Allerweltsnamen Müller. Er gehört gespielt. (Ronald Pohl, 29.5.2022)