Vor ein paar Wochen tauchte ein Text aus meinem Buch Die freundliche Revolution über die Erneuerung der Demokratie in der zentralen Deutschmatura auf. Ich fand das ironisch, denn ich war in Deutsch nie besonders gut. Bis heute mache ich Fehler, das Schreiben geht mir nicht leicht von der Hand. In der ersten Klasse Hauptschule wurde ich in Deutsch in die zweite Leistungsstufe eingereiht. Dass ich danach ans Gymnasium, später mit einem Stipendium an ein United World College in Kanada und irgendwann nach Oxford gehen sollte, habe ich meiner Mutter zu verdanken. Sie setzte durch, dass ich den Einstufungstest wiederholen durfte. Ich hatte als Zehnjähriger keine Ahnung, wie stark das meinen weiteren Lebensweg bestimmen sollte.

Der Bildungserfolg eines Kindes hängt in unserem Land immer noch in erster Linie vom Einsatz der Eltern ab.
Foto: APA/dpa/Philipp von Ditfurth

Ich bin kein Einzelfall. Der Bildungserfolg eines Kindes hängt in unserem Land in erster Linie vom Einsatz der Eltern ab. Bildung wird – das wird statistisch jedes Jahr aufs Neue belegt – immer noch "vererbt".

Als Vater weiß ich, wie viel Zeit und Energie das erfordert. Mit unserem Kind mit Asperger-Autismus haben wir schon vier Schulwechsel hinter uns. Jetzt ist es hoffentlich bis zum Abschluss der Mittelschule gut aufgehoben. Das erfordert viele Gespräche mit den Lehrerinnen und viel Zeit. Bei einem anderen unserer Kinder wurde vor kurzem eine Legasthenie festgestellt, nachdem meine Frau sich um den Test bemühte. Jetzt wird das in der Beurteilung berücksichtigt, sonst wäre es in Deutsch durchgeflogen. Alle drei Kinder sind durch die Pandemie zurückgefallen.

Gut, unsere Situation mag speziell sein. Aber auch in vielen "normalen" Familien gilt: Jedes Kind hat seine individuellen Bedürfnisse, Talente und Herausforderungen. Nicht jedes passt in vorgefertigte Schablonen. Am Ende werden meine Kinder wohl ihren Weg gehen und ihre Talente entfalten. Sie haben das Glück, mit Eltern aufzuwachsen, die sie begleiten können.

Politische Reformblockaden

Aber was ist mit Kindern, die in Familien aufwachsen, wo für diese Art der "Bildungsarbeit" Zeit, Ressourcen oder schlicht das Selbstbewusstsein im Umgang mit der Schule fehlen? Dem Großteil der Eltern ist das Schicksal ihrer Kinder nicht egal. Doch viele von uns scheitern am System.

Wie lange müssen wir noch auf eine Bildungsreform warten? Politisch betonieren vor allem die ÖVP und die Lehrergewerkschaft seit Jahren gegen Veränderung. Aber auch gesamtgesellschaftlich fehlt der Druck, weil das System für die Mittelschicht gerade noch zu funktionieren scheint. Dabei würde echte Veränderung allen jungen Menschen zugutekommen.

Die Debatte wird nicht nur hierzulande leider ideologisch geführt. Dabei ist, was gute Politik in diesem Bereich ausmacht, bestens erforscht. Wenn das Ziel, allen Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen, wirklich wichtig wäre, würden wir endlich die Gesamtschule einführen, von der schon seit Jahrzehnten die Rede ist. Wir würden Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache besser fördern, anstatt sie in Ghettoschulen zu stecken. Wir würden Kinder nicht weiter überfordern und erst im Alter von 14 Jahren vor eine Richtungsentscheidung stellen. Wir würden – ja, denn bisher ist der Konjunktiv die einzige Konstante in der Debatte über die österreichische Bildungspolitik. (Philippe Narval, 30.5.2022)